Am 19. März 2007 begann vor dem Landgericht Münster die Verhandlung
gegen 18 Bundeswehrausbilder, die Rekruten in einer Kaserne im
westfälischen Coesfeld misshandelt haben sollen. Im Vorfeld der
Verhandlung ordnete der Vorsitzende der Strafkammer den Ausschluss von
Foto- und Fernsehteams aus dem Sitzungssaal für einen Zeitraum von 15
Minuten vor Prozessbeginn und 10 Minuten nach Prozessende an. Auf
Antrag des ZDF gab die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 15. März 2007 dem
Vorsitzenden im Wege der Eilanordnung auf, dem Fernsehteam des ZDF die
Anfertigung von Aufnahmen der im Sitzungssaal anwesenden
Verfahrensbeteiligten zu ermöglichen und hierbei die Anwesenheit der
Richter und Schöffen im Sitzungssaal zu gewährleisten. Soweit es an
einem Einverständnis der Angeklagten mit einer Veröffentlichung ihres
Bildnisses fehle, sei eine Anonymisierung ihrer Gesichter
sicherzustellen (vgl. Pressemitteilung Nr. 30/2007 vom 16. März 2007).
Auch die Verfassungsbeschwerde des ZDF hatte Erfolg. Der Erste Senat
des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass die Anordnung des
Strafkammervorsitzenden die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht der
undfunkfreiheit verletzt. Die Entscheidung ist mit 6 : 1 Stimmen
ergangen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Die öffentliche Kontrolle von Gerichtsverhandlungen wird durch die
Anwesenheit der Medien und deren Berichterstattung grundsätzlich
gefördert. Ebenso liegt es im Interesse der Justiz, mit ihren
Verfahren und Entscheidungen auch im Hinblick auf die Durchführung
mündlicher Verhandlungen öffentlich wahrgenommen zu werden. Zur Art
und Intensität öffentlicher Wahrnehmung trägt die Veröffentlichung
audiovisueller Darstellungen bei. Die mündliche Verhandlung selbst
ist nach dem Gesetz in verfassungsgemäßer Weise den Ton- und
Bildaufnahmen verschlossen; insoweit erfolgt die öffentliche
Kontrolle von Gerichtsverhandlungen durch die Saalöffentlichkeit und
die Berichterstattung darüber. Allerdings kann eine Vermittlung des
Erscheinungsbildes eines Gerichtssaals und der in ihm handelnden
Personen den Bürgern darüber hinaus eine der Befriedigung des
Informationsinteresses dienende Anschaulichkeit von
Gerichtsverfahren vermitteln. Dementsprechend gehen die Fachgerichte
von einer grundsätzlichen Öffnung des Zeitraums vor Beginn und nach
Schluss einer mündlichen Verhandlung sowie in den Verhandlungspausen
für Medien unter Einschluss der Möglichkeit des Einsatzes von
rundfunkspezifischen Aufnahme- und Verbreitungstechniken aus.
2. Durch sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden können aber
Beschränkungen vorgesehen werden. Die Gestaltung der Anordnungen
liegt im Ermessen des Vorsitzenden. Dieses Ermessen hat er unter
Beachtung der Bedeutung der Rundfunkberichterstattung für die
Gewährleistung öffentlicher Wahrnehmung und Kontrolle von
Gerichtsverhandlungen sowie der einer Berichterstattung
entgegenstehenden Interessen auszuüben und dabei sicherzustellen,
dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Überwiegt
das Interesse an einer Berichterstattung unter Nutzung von Ton- und
Bewegtbildaufnahmen andere bei der Ermessensentscheidung zu
berücksichtigende Interessen, ist der Vorsitzende verpflichtet, eine
Möglichkeit für solche Aufnahmen zu schaffen.
a) Bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit
ist der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens
bedeutsam. Bei Strafverfahren ist insbesondere die Schwere der
zur Anklage stehenden Straftat zu berücksichtigen, aber auch die
öffentliche Aufmerksamkeit für den Prozess, etwa wegen seines
Aufsehen erregenden Gegenstands. Das Informationsinteresse der
Öffentlichkeit ist regelmäßig auch auf die Personen gerichtet,
die als Mitglieder des Spruchkörpers oder als Sitzungsvertreter
der Staatsanwaltschaft an der Rechtsfindung im Namen des Volkes
mitwirken.
b) Zu berücksichtigen sind aber auch schutzwürdige Interessen, die
einer Aufnahme und Verbreitung von Ton- und Bildaufnahmen
entgegenstehen können. Zu den Schutzinteressen gehört das
Persönlichkeitsrecht der Beteiligten, insbesondere das Recht am
eigenen Bild. Hier ist zu berücksichtigen, dass zumindest ein
Teil der Verfahrensbeteiligten sich regelmäßig in einer für sie
ungewohnten und belastenden Situation befindet und sie zur
Anwesenheit verpflichtet sind. Speziell auf Seiten der
Angeklagten sind auch mögliche Prangerwirkungen oder
Beeinträchtigungen des Anspruchs auf Achtung der Vermutung seiner
Unschuld und von Belangen späterer Resozialisierung zu beachten,
die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt
werden können. Hinsichtlich der Zeugen ist deren besondere
Belastungssituation zu berücksichtigen, etwa wenn sie Opfer der
Tat sind. Aber auch den als Richtern, Staatsanwälten,
Rechtsanwälten oder Justizbediensteten am Verfahren Mitwirkenden
steht ein Anspruch auf Schutz zu, der das
Veröffentlichungsinteresse überwiegen kann, etwa wenn
Veröffentlichungen von Abbildungen eine erhebliche Belästigung
oder Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter
bewirken können. Zu den zu berücksichtigenden Schutzinteressen
gehören darüber hinaus der Anspruch der Beteiligten auf ein
faires Verfahren sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege,
insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung.
c) Die Ermessensentscheidung des Vorsitzenden hat den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit zu wahren. Ein Verbot von Ton- und
Rundfunkaufnahmen ist nicht erforderlich, wenn dem Schutz
kollidierender Belange bereits durch eine beschränkende Anordnung
Rechnung getragen werden kann, insbesondere durch das Erfordernis
einer Anonymisierung der Bildaufnahme solcher Personen, die
Anspruch auf besonderen Schutz haben, sowie durch Anweisungen zu
Standort, Zeit, Dauer und Art der Aufnahmen. Beeinträchtigungen
des äußeren Ablaufs der Sitzung, die etwa durch die Enge des
Saals bedingt sind, kann dadurch entgegengewirkt werden, dass
nicht mehrere Kamerateams zugelassen werden, sondern eine so
genannte Pool-Lösung gewählt wird.
3. Die angegriffene Anordnung des Vorsitzenden wird diesen
Anforderungen nicht gerecht. Es wurde nicht hinreichend
berücksichtigt, dass das Verfahren den öffentlich viel diskutierten
Vorwurf der Misshandlung von Rekruten der Bundeswehr durch die für
ihre Ausbildung verantwortlichen Offiziere und Unteroffiziere betraf
und sich deutlich aus dem Bereich des Alltäglichen heraushob, so
dass die Aufklärung der Vorgänge auf großes öffentliches Interesse
stieß. Eine die Entscheidungsfindung erschwerende Verunsicherung der
Angeklagten als Folge von Bildaufzeichnungen des Geschehens im
Sitzungssaal außerhalb der Hauptverhandlung durfte der Vorsitzenden
nicht schematisch unterstellen. Es liegt nach dem Gegenstand des
Verfahrens und der Person der Angeklagten, bei denen es sich
durchweg um berufserfahrene Offiziere und Unteroffiziere der
Bundeswehr handelte, nicht ohne weiteres auf der Hand, dass Anlass
zu solchen Befürchtungen bestanden hat. Das Interesse der
Öffentlichkeit an bildlicher Dokumentation des Geschehens am Rande
einer Hauptverhandlung schließt die mitwirkenden Richter
einschließlich der Schöffen, sowie der Staatsanwälte und
Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege ein. Den vom Vorsitzenden
angeführten Problemen, die aus der räumlichen Enge des Sitzungssaals
resultieren könnten, hätte durch geeignete Vorkehrungen Rechnung
getragen werden können, etwa durch die Beschränkung der Aufnahmen im
Rahmen einer Pool-Lösung.
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