Der Antrag der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Landesverband
Schleswig-Holstein, der sich gegen die Beibehaltung der
Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen
Kommunalwahlgesetz richtet, war erfolgreich. Die Partei DIE LINKE,
Landesverband Schleswig-Holstein war dem Antrag beigetreten. Der Zweite
Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte mit Urteil vom 13. Februar
2008 fest, dass der Landtag Schleswig-Holstein in das Recht der
Antragstellerin auf Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit dadurch
eingegriffen hat, dass er einen Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN bezüglich der Fünf-Prozent-Klausel abgelehnt hat. Dieser
Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Hinreichende Gründe, die die
Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel zur Sicherung der
Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen in Schleswig-Holstein nach
den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erforderlich machen,
sind nicht ersichtlich.
(Zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 107/2007 vom 5. November 2007)
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Mit 7 : 1 Stimmen bejahte der Zweite Senat die Zulässigkeit des
Organstreitverfahrens. Die Ablehnung des Gesetzesantrags der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abschaffung der Fünf-Prozent-Sperrklausel
bildet hier einen zulässigen Angriffsgegenstand im
Organstreitverfahren. Der Antragsgegner hat sich mit der Beibehaltung
der Fünf-Prozent-Sperrklausel im Schleswig-Holsteinischen
Kommunalwahlrecht inhaltlich befasst und einen ausdrücklich auf die
Abschaffung der Sperrklausel gerichteten Gesetzentwurf im
parlamentarischen Verfahren abgelehnt. Damit steht im vorliegenden Fall
die Ablehnung des Gesetzentwurfes dem als Maßnahme zu wertenden Erlass
eines Gesetzes gleich. In beiden Fällen befasst sich der Gesetzgeber im
parlamentarischen Verfahren inhaltlich mit der Frage der Sperrklausel
im Kommunalwahlrecht und trifft eine Entscheidung, die in die
Statusrechte der Antragstellerin eingreift.
II. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen
Kommunalwahlgesetz bewirkt eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen.
Sie werden hinsichtlich ihres Erfolgswerts ungleich behandelt, je
nachdem, ob die Stimme für eine Partei abgegeben wurde, die mehr als
fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, oder für eine
Partei, die an der Fünf-Prozent-Sperrklausel gescheitert ist. Letztere
Wählerstimmen bleiben ohne Erfolg. Zugleich wird durch die
Fünf-Prozent-Sperrklausel das Recht der Antragstellerin auf
Chancengleichheit beeinträchtigt. Dieser Eingriff in das Recht der
Antragstellerin auf Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit ist
nicht gerechtfertigt.
1. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel kann nicht damit gerechtfertigt
werden, dass sie dem Zweck diene, verfassungsfeindliche oder
(rechts-)extremistische Parteien von der Beteiligung an kommunalen
Vertretungsorganen fernzuhalten. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel wirkt
nicht nur gegen (unerwünschte) extremistische Parteien, sondern
trifft alle Parteien gleichermaßen, ebenso wie kommunale
Wählervereinigungen und Einzelbewerber. Für die Bekämpfung
verfassungswidriger Parteien steht das Parteiverbotsverfahren zur
Verfügung.
2. Auch in der Sicherung der Gesamtwohlorientierung politischer Kräfte
kann gegenwärtig kein zwingender Grund für die Beibehaltung der
Fünf-Prozent-Sperrklausel gesehen werden. Aus der Garantie der
kommunalen Selbstverwaltung folgt, dass die Auslese der Kandidaten
für die kommunalen Vertretungskörperschaften jedenfalls auch nach
partikularen Zielen möglich sein muss und daher nicht ausschließlich
den ihrem Wesen und ihrer Struktur nach in erster Linie am
Staatsganzen orientierten politischen Parteien vorbehalten werden
darf. Es muss daher auch ortsgebundenen, lediglich kommunale
Interessen verfolgenden Wählergruppen das Wahlvorschlagsrecht und
ihren Kandidaten eine chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen
gewährleistet sein.
3. Aus der Erforderlichkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel für
Bundestags- oder Landtagswahlen kann nicht ohne weiteres auf die
Erforderlichkeit der Sperrklausel auch für Kommunalwahlen
geschlossen werden. Bei gesetzgebenden Körperschaften sind klare
Mehrheiten zur Sicherung einer politisch aktionsfähigen Regierung
unentbehrlich. Anders als staatliche Parlamente üben
Gemeindevertretungen und Kreistage dagegen keine
Gesetzgebungstätigkeit aus. Vielmehr sind ihnen in erster Linie
verwaltende Tätigkeiten anvertraut.
4. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Ziel der
Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung mit dem
Gebot der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit politischer
Parteien zum Ausgleich zu bringen. Bei seiner Prognoseentscheidung
darf sich der Gesetzgeber aber nicht auf die Feststellung der rein
theoretischen Möglichkeit einer Beeinträchtigung der
Funktionsfähigkeit beschränken; erforderlich ist vielmehr eine mit
einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung.
Hinreichende Gründe, die die Beibehaltung der
Fünf-Prozent-Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der
Kommunalvertretungen in Schleswig-Holstein nach den rechtlichen und
tatsächlichen Verhältnissen erforderlich machen, sind nicht
ersichtlich. Bei der Prognoseentscheidung des Gesetzgebers kommt der
Ausgestaltung des Kommunalverfassungsrechts in Schleswig-Holstein
entscheidendes Gewicht zu.
a) Mit der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister in
hauptamtlich verwalteten Gemeinden sowie der Landräte ist das
zentrale Element weggefallen, das bislang die Rechtfertigung der
Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen
Kommunalwahlrecht gestützt hat. Nach der Änderung der
Kommunalverfassung in Schleswig-Holstein im Jahr 1995 sind für
die Wahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte
stabile Mehrheitsverhältnisse, die durch das Auftreten von
Splitterparteien in Kommunalvertretungen und Kreistagen gefährdet
werden könnten, nicht mehr notwendig. Die Direktwahl des
Bürgermeisters bzw. des Landrats garantiert zudem weitgehend eine
funktionierende Gemeindeverwaltung unabhängig von den
Mehrheitsverhältnissen in der Gemeindevertretung. Denn der
Bürgermeister trägt in eigener Zuständigkeit die alleinige
umfassende Verantwortung für die Leitung der Gemeindeverwaltung.
Der Umstand, dass in ehrenamtlich verwalteten Gemeinden die
Gemeindevertretung nach wie vor für die Wahl des Bürgermeisters
zuständig ist, kann die Beibehaltung der
Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht rechtfertigen. In sämtlichen
ehrenamtlich verwalteten Gemeinden muss ein Wahlbewerber, um
sicher einen Sitz in der Gemeindevertretung zu erlangen, ohnehin
mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen.
Dies beruht darauf, dass alle ehrenamtlich verwalteten Gemeinden
in Schleswig-Holstein weniger als 10.000 Einwohner haben, was
dazu führt, dass maximal 19 Gemeindevertreter zu wählen sind. Bei
einem zu wählenden Gremium mit 19 Sitzen beträgt schon die
faktische Sperrklausel fünf Prozent. Der Wegfall der gesetzlich
normierten Fünf-Prozent-Sperrklausel würde sich in den
ehrenamtlich verwalteten Gemeinden - und damit in nahezu 95
Prozent aller schleswig-holsteinischen Gemeinden - praktisch
nicht auswirken.
b) Auch bei einer größeren Anzahl von Fraktionen oder
Einzelvertretern in der Gemeindevertretung oder im Kreistag
drohen keine nachhaltigen Gefahren für die Funktionsfähigkeit der
Kommunalvertretung. Für Sachentscheidungen reicht bereits eine
relative Abstimmungsmehrheit aus. Bei Wahlen gilt grundsätzlich
das Meiststimmenverfahren. Danach ist der Kandidat gewählt, auf
den mindestens eine Stimme mehr entfällt als auf eine andere
vorgeschlagene Person.
c) Darüber hinaus liegt eine gänzliche Funktions- und
Entscheidungsunfähigkeit in Anbetracht der Regelungen der
Gemeinde- und der Kreisordnung fern, die insbesondere die
Entscheidungsfähigkeit der Kommunalvertretungen auch dann
sicherstellen, wenn das übliche Quorum der Beschlussfähigkeit
nicht zu erreichen ist. In der Praxis betrifft dies vor allem die
Fälle, in denen die Beschlussunfähigkeit von mehreren Mitgliedern
der Gemeindevertretung oder des Kreistags durch Verlassen einer
Sitzung herbeigeführt wird.
d) Auch eine Gefährdung der Arbeit in den Ausschüssen ist nicht
ernstlich zu befürchten. Die Gemeinde kann die Zahl der
Mitglieder der ständigen Ausschüsse frei bestimmen. Dabei ist
nicht von Belang, ob durch die Größe des Ausschusses
gewährleistet ist, dass alle Fraktionen darin mitwirken können.
Eine bestimmte Anzahl von Sitzen in der Gemeindevertretung
berechtigt Fraktionen nicht, eine Erhöhung der Ausschusssitze zu
verlangen, um dann dort berücksichtigt zu werden.
e) Schließlich können die in den anderen Ländern ohne
Fünf-Prozent-Sperrklausel gemachten Erfahrungen bei der
Prognoseentscheidung nicht gänzlich außer Betracht gelassen
werden. Seit der Reformierung der Kommunalverfassungen bestehen
in nahezu allen Flächenländern wesentliche Übereinstimmungen in
den Kommunalverfassungen. Daher spielt für die
Prognoseentscheidung auch eine Rolle, dass schwerwiegende
Störungen der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen aus
anderen Ländern ohne Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht bekannt
geworden sind.
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