Die Höhe des Ruhegehalts eines Beamten bestimmt sich nach Prozentsätzen
der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge, den Ruhegehaltssätzen. Bis zum
31.Dezember 1991 galt für die Berechnung des Ruhgehaltssatzes eine
degressive Tabelle. Das Ruhegehalt betrug bei Vollendung einer
zehnjährigen ruhegehaltfähigen Dienstzeit 35 %. Mit jedem weiteren
Dienstjahr bis zum 25. Dienstjahr stieg es um 2 %, dann um 1 % der
ruhegehaltfähigen Dienstbezüge bis zu einem Höchstruhegehaltssatz von
75 %. Den Höchstruhegehaltssatz erreichte der Beamte nach 35
ruhegehaltfähigen Dienstjahren. Diese degressive Staffelung führte in
vielen Fällen zu einer vergleichsweisen Besserstellung von
Teilzeitbeamten gegenüber vollzeitbeschäftigten Beamten. Zum Ausgleich
dieser Besserstellung sah das Beamtenversorgungsrecht seit dem Jahr
1984 bei Teilzeitbeschäftigung eine zeitanteilige Verminderung des
Ruhegehaltssatzes vor. Diese wurde nach § 14 Abs. 1
Beamtenversorgungsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden
Fassung berechnet, indem zunächst der fiktive Ruhegehaltssatz ermittelt
wurde, den der Beamte erreicht hätte, wenn er nicht Teilzeit, sondern
Vollzeit gearbeitet hätte. Dieser fiktive Ruhegehaltssatz wurde sodann
in dem Verhältnis vermindert, in dem die tatsächliche ruhegehaltfähige
Dienstzeit des Beamten zu der ruhegehaltfähigen Dienstzeit stand, die
er im Falle einer Vollzeitbeschäftigung erreicht hätte
(Versorgungsabschlag für teilzeitbeschäftigte Beamte).
Ab dem 1. Januar 1992 wurde die degressive Ruhegehaltstabelle durch
eine lineare Tabelle ersetzt. Eines Versorgungsabschlags der
vorbeschriebenen Art bedurfte es unter Geltung dieser neuen
Ruhegehaltstabelle nicht mehr. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 BeamtVG
a.F. blieb indes kraft der Übergangsvorschrift des § 85 BeamtVG für die
Berechnung des Ruhegehalts derjenigen Teilzeitbeamten anwendbar, die
bereits am 31. Dezember 1991 im Beamtenverhältnis standen.
Mit Urteil vom 23. Oktober 2003 entschied der Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften, dass die Regelung des § 85 BeamtVG in
Verbindung mit § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. im Widerspruch zu dem Grundsatz
des gleichen Entgelts für Männer und Frauen aus Art. 141 EG steht. Die
Anwendung der Bestimmungen könne dazu führen, dass Teilzeitdienst bei
gleicher Zahl abgeleisteter Dienststunden zu einem niedrigeren
Ruhegehalt führe als Vollzeitdienst. Hierin liege - wenn eine Mehrheit
der Teilzeitbeschäftigten weiblichen Geschlechts seien - einemittelbare
Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer. Die Wirkung seines Urteils
beschränkte der Europäische Gerichtshof aus Gründen der
Rechtssicherheit auf Leistungen, die für Beschäftigungszeiten nach dem
17. Mai 1990 geschuldet werden.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist seit 1971 Beamtin. Bis zu ihrer
Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Wirkung vom 1.
August 1998 war sie überwiegend teilzeitbeschäftigt. Ihr
Ruhegehaltssatz wurde für die Zeit vor dem 17. Mai 1990 auf der
Grundlage von § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. berechnet, so dass für diesen
Zeitraum der Versorgungsabschlag voll wirksam wurde. Der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof setzte im Berufungsverfahren den Rechtsstreit
aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung
vor, ob die Regelung des § 14 Abs. 1 BeamtVG in der bis zum 31.
Dezember 1991 geltenden Fassung über den Versorgungsabschlag mit dem
Grundgesetz vereinbar ist.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis,
dass die beanstandete Regelung mittelbar eine
geschlechterdiskriminierende Wirkung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1
GG hat und sie daher nichtig ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Durch die Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach § 85 Abs. 4 Satz 2
BeamtVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 und 3 BeamtVG
a.F. werden mittelbar Frauen benachteiligt, da von der Möglichkeit der
Teilzeitbeschäftigung in weitaus überwiegendem Maße Frauen Gebrauch
machen. Infolge der vorgegebenen Berechnungsweise erhalten
teilzeitbeschäftigte Beamte im Vergleich zu einem Vollzeitbeamten einen
geringeren Ruhegehaltssatz, obwohl sie die gleichen ruhegehaltfähigen
Dienstzeiten erbracht haben. Diese Diskriminierung kann nicht durch
sonstige Güter von Verfassungsrang gerechtfertigt werden.
1. Angesichts der mit der Ausweitung der
Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten verbundenen Kostenlast für die
öffentlichen Haushalte sollte der Versorgungsabschlag unter anderem
der Kostenneutralität dienen. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt,
zur Erreichung der Kostenneutralität gerade die überwiegend
weiblichen Teilzeitbeschäftigten heranzuziehen. Bei
arbeitsmarktpolitischer Teilzeit machen Frauen zudem von einer
Möglichkeit der Beschäftigung Gebrauch, die ihnen auch im Interesse
des Staates zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingeräumt wurde. Es
ist nicht zu rechtfertigen, von denen, die von der so geschaffenen
Möglichkeit Gebrauch machen, einen besonderen Beitrag zur
Finanzierung dieses Systems zu verlangen. Auch in den Fällen, in
welchen die Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeit aus familiären Gründen
in Anspruch genommen wird, ist es nicht gerechtfertigt, die in
dieser Weise tätigen Beamten mit einem Sonderbeitrag zur
(Mit-)Finanzierung der Versorgungslasten des Gesamtsystems zu
belasten.
2. Die Ungleichbehandlung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden,
dass der Versorgungsabschlag der Vermeidung einer Besserstellung
teilzeitbeschäftigter Beamter diene. Zwar führt die Anwendung allein
der degressiven Ruhegehaltstabelle im Einzelfall dazu, dass
Teilzeitbeschäftigte trotz im Vergleich zu einem
Vollzeitbeschäftigen geringerer ruhegehaltfähiger Dienstzeit den
gleichen Ruhegehaltssatz erreichen. Dies betrifft jedoch allein
Fälle, in denen es um die Mindestsicherung des Beamten bei nur
kurzer Dienstzeit geht. Die Mindestsicherung knüpft aber nicht an
den Umstand der Teilzeitbeschäftigung an. Im Vordergrund steht
vielmehr die Grundabsicherung, welche die amtsangemessene
Alimentierung des Beamten und seiner Familie auch in Fällen nur
kurzer Dienstleistung zum Ziel hat.
3. Auch das Leitbild des Vollzeitbeamten kann die Belastung der weit
überwiegend weiblichen teilzeitbeschäftigten Beamten in der
Versorgung sachlich nicht rechtfertigen. Den Umstand, dass der
Teilzeitbeamte vom Leitbild des Vollzeitbeamten abweicht, kann der
Gesetzgeber zwar grundsätzlich zum Anknüpfungspunkt
besoldungsrechtlicher Regelungen machen. Jedoch endet die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dort, wo sich die Regelungen in
unverhältnismäßiger Weise benachteiligend für Beamte eines
Geschlechts auswirken. Diese Grenze ist vorliegend überschritten.
Dem stehen sowohl der weit reichende Schutzzweck des
Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als auch die
Ziele, welche der Einführung von Teilzeitmöglichkeiten zu Grunde
lagen, entgegen. Die Einführung der Teilzeit lag zum einen im
arbeitsmarktpolitischen Interesse des Staates. Aufgrund eines
Überangebotes vor allem an Lehrern sollten durch eine Erweiterung
der Teilzeitmöglichkeiten zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen
Dienst geschaffen werden. Dann ist es jedoch widersprüchlich,
diejenigen Beamten, die sich der Zielvorgabe entsprechend verhalten,
mittelbar in einer an das Geschlecht anknüpfenden Weise dadurch zu
diskriminieren, dass teilzeitbeschäftigte Frauen im Ergebnis eine
schlechtere Versorgung erhalten. Die Zulassung der Teilzeit vollzog
sich zum anderen aus familienpolitischen Gründen vor dem Hintergrund
des Schutzes von Ehe und Familie. Sie dient der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf und damit der effektiven Wahlfreiheit in der
Entscheidung über Rollenwahl und Rollenverteilung in Ehe, Familie
und Beruf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, den
intendierten Schutz von Ehe und Familie durch finanzielle Nachteile
im Bereich der Versorgung von Beamten teilweise wieder auszuhöhlen.
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