Der 1929 geborene Antragsteller ist seit 56 Jahren verheiratet. Aus der
Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Schon seit langem fühlt er sich
dem weiblichen Geschlecht zugehörig. Aufgrund gerichtlicher
Entscheidung nach dem Transsexuellengesetz (TSG) führt er seit 2001
einen weiblichen Vornamen. Im Jahre 2002 unterzog er sich einer
geschlechtsumwandelnden Operation. Anschließend beantragte er, nach dem
Transsexuellengesetz festzustellen, dass er als dem weiblichen
Geschlecht zugehörig anzusehen sei. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG ist
allerdings Voraussetzung für die Feststellung und rechtliche
Anerkennung der anderen Geschlechtszugehörigkeit, dass der Betroffene
nicht verheiratet ist. Der Antragsteller und seine Ehefrau haben jedoch
nicht die Absicht, sich scheiden zu lassen, da ihre Beziehung intakt
ist.
Auf eine Vorlage des Amtsgerichts Schöneberg, das sich im Hinblick auf
das gesetzliche Erfordernis der Ehelosigkeit gehindert sah, dem Antrag
des Antragstellers zu entsprechen, kam der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts zu dem Ergebnis, dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG
verfassungswidrig ist. Es ist einem verheirateten Transsexuellen nicht
zumutbar, dass seine rechtliche Anerkennung im neuen Geschlecht
voraussetzt, dass er sich von seinem Ehegatten, mit dem er rechtlich
verbunden ist und zusammenbleiben will, scheiden lässt, ohne dass ihm
ermöglicht wird, seine ehelich begründete Lebensgemeinschaft in
anderer, aber gleich gesicherter Form fortzusetzen. Dem Gesetzgeber
wurde aufgegeben, bis zum 1. August 2009 den verfassungswidrigen
Zustand zu beseitigen. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung ist § 8
Abs. 1 Nr. 2 TSG (Erfordernis der Ehelosigkeit) nicht anwendbar.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. § 8 TSG trägt dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf
Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität
grundsätzlich Rechnung, indem er die personenstandsrechtliche
Anerkennung des durch operativen Eingriff geänderten Geschlechts
eines Transsexuellen ermöglicht. Allerdings verlangt § 8 Abs. 1
Nr. 2 TSG als Voraussetzung für die Personenstandsänderung, dass
der Betroffene nicht verheiratet ist. Mit dieser Voraussetzung
wird ein verheirateter Transsexueller, der erst im Laufe der Ehe
seine Transsexualität entdeckt hat oder sich dazu entschlossen
hat, sein Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht zu
offenbaren und sich diesem Geschlecht durch operativen Eingriff
auch körperlich angleichen zu lassen, in der Wahrnehmung und
Ausübung seines Rechts auf personenstandsrechtliche Zuordnung zum
anderen Geschlecht eingeschränkt. Mit ihr wird er vor die
Alternative gestellt, entweder an seiner Ehe festzuhalten, dann
aber trotz bereits stattgefundener körperlicher
Geschlechtsumwandlung keine rechtliche Anerkennung seiner neuen
Geschlechtsidentität zu erhalten. Oder er muss sich, um die
rechtliche Anerkennung zu erhalten, scheiden lassen, auch wenn er
und sein Ehegatte weiterhin ehelich verbunden bleiben wollen.
II. Diese Beeinträchtigung, die ein verheirateter Transsexueller durch
§ 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG erfährt, ist unverhältnismäßig.
1. Das legitime Anliegen des Gesetzgebers, das Rechtsinstitut der
Ehe, die unter dem besonderen Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG
steht, als Form des rechtlich abgesicherten Zusammenlebens
ausschließlich Mann und Frau, also Partnern verschiedenen
Geschlechts, vorzubehalten, ist von hohem Gewicht. Die
rechtliche Anerkennung der geänderten Geschlechtszugehörigkeit
eines verheirateten Transsexuellen würde dazu führen, dass
seine Ehe von Partnern des gleichen Geschlechts fortgeführt
würde.
2. Demgegenüber wiegt aber auch die Beeinträchtigung schwer, die
ein verheirateter Transsexueller durch § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG
erfährt. Insbesondere wird die bestehende Ehe des Betroffenen
in erheblichem Maße beeinträchtigt. Drängt der Staat Ehegatten
zur Scheidung ihrer Ehe, dann läuft dies nicht nur dem
Strukturmerkmal der Ehe als dauerhafter Lebens- und
Verantwortungsgemeinschaft zuwider. Es wird damit auch der
bestehenden Ehe der ihr von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete
Schutz entzogen. Dieser Schutz entfällt nicht dadurch, dass der
transsexuelle Ehegatte während der Ehe durch operative
Eingriffe seine äußeren Geschlechtsmerkmale dem empfundenen
Geschlecht anpasst. Damit wird die Ehe zwar im Tatsächlichen
und nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nunmehr von
gleichgeschlechtlichen Partnern geführt. Sie ist aber weiterhin
eine dauerhafte Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft von zwei
Ehegatten. Hinzukommt, dass auch der Ehegatte des
Transsexuellen eine starke Beeinträchtigung des Schutzes seiner
Ehe erfährt. Auch er wird dem Entscheidungskonflikt ausgesetzt,
entweder an der Ehe festzuhalten, damit aber zu verhindern,
dass sein Ehegatte die rechtliche Anerkennung seiner
Geschlechtsidentität findet, oder sich gegen den eigenen Willen
von seinem Partner scheiden zu lassen und damit nicht nur die
Trennung von ihm auf sich zu nehmen, sondern auch die mit der
Ehe verbundene rechtliche Absicherung zu verlieren.
3. Das gesetzgeberische Interesse am Erhalt des Instituts der Ehe
als Vereinigung von Mann und Frau muss grundsätzlich nicht
hinter das Interesse eines gleichgeschlechtlichen Ehepaares am
Erhalt ihrer Ehe zurücktreten, ebenso wie sich der Gesetzgeber
nicht ohne weiteres über das Interesse eines Ehepaares an der
Beibehaltung ihrer bestehenden Ehe hinwegsetzen kann.
Allerdings fällt hier ins Gewicht, dass durch die Regelung
konkret gelebte Beziehungen in eine existentiell erfahrene
Krise geführt werden. Es geht um das weitere Schicksal eines
gemeinsam gegangenen Lebensweges und damit um Folgen von
subjektiv existentieller Dimension. Demgegenüber wird das
Prinzip der Verschiedengeschlechtlichkeit angesichts der
konkreten Umstände nur am Rande berührt. Es handelt sich bei
den hier in Rede stehenden Fällen nur um eine geringe Zahl von
Transsexuellen, die erst während der Ehe ihre Transsexualität
entdeckt oder offenbart haben und deren Ehe an dieser
tiefgreifenden Veränderung der Paarbeziehung nicht zerbrochen
ist, sondern nach dem Willen beider Ehegatten fortgesetzt
werden soll.
Entscheidend für die Gewichtung ist insbesondere das
Zusammenspiel von Art. 6 Abs. 1 GG mit dem ebenfalls
grundrechtlich geschützten Recht auf Anerkennung der
selbstbestimmten geschlechtlichen Identität. Die besondere
Belastung, die § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG mit sich bringt, liegt
darin, dass sie zur Durchsetzung des gesetzgeberischen Willens
die Realisierung des einen Grundrechts von der Aufgabe des
anderen abhängig macht. Dies führt die Betroffenen nicht nur in
eine kaum zu lösende innere Konfliktlage, sondern auch zu einer
unzumutbaren Grundrechtsbeeinträchtigung. § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG
ist daher verfassungswidrig, weil er einem verheirateten
Transsexuellen nicht die Möglichkeit einräumt, die rechtliche
Anerkennung seiner neuen Geschlechtszugehörigkeit zu erlangen,
ohne seine Ehe beenden zu müssen.
III. Es liegt in der Entscheidung des Gesetzgebers, auf welche Weise er
die Verfassungswidrigkeit behebt. Will er nicht zulassen, dass
Paare in der Ehe verbleiben, bei denen es durch Feststellung der
geänderten Geschlechtszugehörigkeit des transsexuellen Ehegatten
zu einer personenstandsrechtlichen Gleichgeschlechtlichkeit kommt,
ist ihm dies unbenommen, da sein Anliegen Art. 6 Abs. 1 GG
Rechnung trägt. Er muss dann aber Sorge tragen, dass die bisherige
Ehe des Transsexuellen jedenfalls als rechtlich gesicherte
Verantwortungsgemeinschaft fortbestehen kann. So kann er sie in
eine Eingetragene Lebenspartnerschaft oder eine rechtlich
abgesicherte Lebensgemeinschaft sui generis überführen, muss dabei
aber dafür Sorge tragen, dass die erworbenen Rechte und
auferlegten Pflichten aus der Ehe dem Paar ungeschmälert erhalten
bleiben.
Angesichts der geringen Zahl der betroffenen verheirateten
Transsexuellen kann der Gesetzgeber sich aber auch dafür
entscheiden, ihnen die Möglichkeit der rechtlichen Anerkennung
ihres geänderten Geschlechts bei Fortführung ihrer Ehe zu eröffnen
und dafür § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG zu streichen.
IV. Angesichts der Schwere der Beeinträchtigung, die ein verheirateter
Transsexueller durch die Versagung der rechtlichen Anerkennung
einer empfundenen und gewandelten Geschlechtszugehörigkeit
erfährt, wird § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG bis zum Inkrafttreten einer
Neuregelung für nicht anwendbar erklärt.
Die Entscheidung ist zu Ziff. IV mit 7 : 1 Stimmen, im Übrigen
einstimmig ergangen.
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