Die Verfassungsbeschwerden von zwei Gastwirten und einer
Diskothekenbetreiberin, die sich gegen Bestimmungen der
Nichtraucherschutzgesetze von Baden-Württemberg und Berlin wenden,
waren erfolgreich (zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 53 vom 8.
Mai 2008). Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest,
dass die angegriffenen Regelungen die Beschwerdeführer in ihrem
Grundrecht auf freie Berufsausübung verletzen.
Zwar wäre der Gesetzgeber nicht gehindert, ein striktes, ausnahmsloses
Rauchverbot in Gaststätten zu verhängen. Entscheidet er sich aber für
eine Konzeption, bei der das Ziel des Gesundheitsschutzes mit
verminderter Intensität verfolgt und mit Rücksicht insbesondere auf die
beruflichen Interessen der Gastwirte Ausnahmen vom Rauchverbot
zugelassen werden, so müssen diese Ausnahmen auch die durch das
Rauchverbot wirtschaftlich besonders stark belastete getränkegeprägte
Kleingastronomie ("Eckkneipen") miterfassen. Die Landesgesetzgeber
haben bis zum 31. Dezember 2009 eine Neuregelung zu treffen. Dabei
können sie sich unter Verzicht auf Ausnahmetatbestände für eine strenge
Konzeption des Nichtraucherschutzes in Gaststätten entscheiden; oder
sie können im Rahmen eines weniger strengen Schutzkonzeptes Ausnahmen
vom Rauchverbot zulassen, die dann allerdings folgerichtig auf
besondere Belastungen einzelner Bereiche des Gaststättengewerbes
Rücksicht nehmen und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein müssen. Die
angegriffenen Bestimmungen bleiben wegen der hohen Bedeutung des
Schutzes der Bevölkerung vor den Gefahren des Passivrauchens bis zu
einer Neuregelung anwendbar. In Baden-Württemberg und Berlin gelten
daher zunächst weiterhin die bisherigen Vorschriften über das
Rauchverbot in Gaststätten. Um für die Betreiber kleinerer Gaststätten
existentielle Nachteile zu vermeiden, hat das Bundesverfassungsgericht
jedoch bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung die in den
Nichtraucherschutzgesetzen bereits vorgesehenen Ausnahmen um eine
weitere zugunsten der getränkegeprägten Kleingastronomie erweitert.
Voraussetzung für eine solche Ausnahme vom Rauchverbot ist, dass die
betroffene Gaststätte keine zubereiteten Speisen anbietet, eine
Gastfläche von weniger als 75 Quadratmetern hat, nicht über einen
abgetrennten Nebenraum verfügt und Personen unter 18 Jahren der Zutritt
verwehrt ist. Zudem muss die Gaststätte im Eingangsbereich als
Rauchergaststätte, zu der Personen unter 18 Jahren keinen Zutritt
haben, gekennzeichnet sein.
Lässt ein Nichtraucherschutzgesetz die Einrichtung von Raucherräumen
als Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten zu, ist ferner der
generelle Ausschluss der Diskotheken von dieser Begünstigung nicht
gerechtfertigt. Bis zu einer Neuregelung, die der Gesetzgeber bis zum
31. Dezember 2009 zu treffen hat, gilt die Vorschrift mit der Maßgabe
fort, dass in Diskotheken, zu denen nur Personen ab 18 Jahren Zutritt
haben, ein Raucherraum - ohne Tanzfläche - eingerichtet werden darf.
Die Richter Bryde und Masing haben der Entscheidung jeweils eine
abweichende Meinung angefügt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Das Rauchverbot in Gaststätten stellt einen schwerwiegenden
Eingriff in die freie Berufsausübung der Gastwirte dar. In
Anbetracht eines Raucheranteils von 33,9 % unter der erwachsenen
Bevölkerung in Deutschland kann dies je nach Ausrichtung der
gastronomischen Angebote und der damit angesprochenen
Besucherkreise für die Betreiber der Gaststätten zu empfindlichen
Umsatzrückgängen führen. Dieser Eingriff ist in den hier zu
beurteilenden Ausge-staltungen nicht gerechtfertigt. Zwar
verfolgen die Gesetzgeber mit dem Schutz der Bevölkerung vor den
Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen ein überragend wichtiges
Gemeinwohlziel. Die angegriffenen Regelungen sind jedoch nicht
verhältnismäßig. Sie belasten in unzumutbarer Weise die Betreiber
kleinerer Einraumgaststätten mit getränkegeprägtem Angebot.
1. Bei der erforderlichen Gesamtabwägung zwischen der Schwere des
Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe muss
die Grenze des Zumutbaren gewahrt bleiben. Dabei wäre der
Gesetzgeber aufgrund des ihm zukommenden Einschätzungs-,
Wertungs- und Gestaltungsspielraums zwar nicht gehindert, dem
Gesundheitsschutz der Gesamtbevölkerung einschließlich des
Gaststättenpersonals gegenüber den damit beeinträchtigten
Freiheitsrechten den Vorrang einzuräumen und ein striktes
ausnahmsloses Rauchverbot in Gaststätten zu verhängen. Die
Gesetzgeber durften aufgrund zahlreicher wissenschaftlicher
Untersuchungen davon ausgehen, dass mit dem Passivrauchen
schwerwiegende gesundheitliche Risiken verbunden sind. Da die
Gesundheit und erst recht das menschliche Leben zu den
besonders hohen Gütern zählen, darf ihr Schutz auch mit Mitteln
angestrebt werden, die in das Grundrecht der Berufsfreiheit
empfindlich eingreifen. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs
wegen nicht gehalten, mit Rücksicht auf die Berufsfreiheit der
Betreiber von Gaststätten Ausnahmen von einem Rauchverbot für
den Gaststättenbetrieb in Gebäuden und vollständig
umschlossenen Räumen zuzulassen.
2. Zu einem anderen Ergebnis führt die Verhältnismäßigkeitsprüfung
jedoch, wenn kein striktes Rauchverbot zur Entscheidung steht,
sondern - wie in den vorliegenden Fällen - eine Konzeption
gewählt wurde, bei der das Ziel des Gesundheitsschutzes wegen
der Interessen der Gastwirte und der Raucher mit verminderter
Intensität verfolgt wird. Sowohl in Baden-Württemberg als auch
in Berlin werden praktisch bedeutsame Ausnahmen vom
Rauchverbot, wie etwa die Einrichtung abgetrennter
Raucherräume, zugelassen. Aufgrund des ihm zukommenden
Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums ist der
Gesetzgeber zwar nicht gehindert, ein Konzept des
Nichtraucherschutzes in Gaststätten zu wählen, bei dem der
Schutz der Gesundheit der Nichtraucher im Ausgleich mit den
Freiheitsrechten der Gaststättenbetreiber und der Raucher
weniger stringent verfolgt wird. Diese Entscheidung muss er
dann aber auch folgerichtig weiterverfolgen.
Daher erlangen die spezifischen Auswirkungen des Rauchverbots
für die getränkegeprägte Kleingastronomie im Rahmen der
vorzunehmenden Gesamtabwägung ein stärkeres Gewicht. Für sie
führt das Rauchverbot wegen des außergewöhnlich hohen Anteils
von Rauchern unter den Gästen zu einer erheblich stärkeren
wirtschaftlichen Belastung als für die Betreiber größerer
Lokale, wofür insbesondere die vom Statistischen Bundesamt
vorgelegten Untersuchungen sprechen. Für größere Gaststätten,
die über Nebenräume verfügen oder solche einrichten können,
gilt nur ein relatives Rauchverbot; ihrem Interesse, auch den
auchenden Gästen ein Angebot unterbreiten zu können, wird
nachgekommen. Hingegen besteht für kleinere Gaststätten ein
absolutes Rauchverbot, sofern hier - wie aufgrund deren
geringeren Grundfläche regelmäßig der Fall - Nebenräume nicht
verfügbar sind. Von den Betreibern solcher Gaststätten wird die
strikte Einhaltung des Rauchverbots selbst um den Preis des
Verlustes ihrer wirtschaftlichen Existenz gefordert, obgleich
die Landesgesetzgeber den angestrebten Gesundheitsschutz nicht
uneingeschränkt, sondern nur unter Berücksichtigung der
beruflichen Belange der Gastwirte verfolgen wollen. Die
Gesundheitsgefährdungen durch Passivrauchen erhalten so bei der
Abwägung gegenüber der Berufsfreiheit der Gastwirte ein
unterschiedliches Gewicht. Angesichts der Zurücknahme des
erstrebten Schutzziels steht das Maß der sie hiernach
treffenden Belastung nicht mehr in einem zumutbaren Verhältnis
zu den Vorteilen, die die Landesgesetzgeber mit dem gelockerten
Rauchverbot für die Allgemeinheit erstreben. Der
getränkegeprägten Kleingastronomie kommt wegen der überwiegend
rauchenden Gäste für einen effektiven Nichtraucherschutz keine
wesentliche Bedeutung zu. Die beträchtlichen Umsatzrückgänge
nach dem Inkrafttreten der Rauchverbote zeigen, dass es solchen
Gaststätten offensichtlich nicht gelingt, nunmehr für ihre
gastronomischen Angebote verstärkt nicht rauchende Gäste zu
interessieren.
II. Auch die Verfassungsbeschwerde der Diskothekenbetreiberin gegen
die Regelungen im Baden-Württembergischen Nichtraucherschutzgesetz
ist begründet. Es ist mit Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.
3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, dass auch Diskotheken, zu denen
Jugendliche keinen Zutritt erhalten, von der Möglichkeit
ausgeschlossen sind, Raucherräume einzurichten. Der generelle
Ausschluss der Diskotheken von der Begünstigung, die in der
Ausnahme abgetrennter Raucherräume vom Rauchverbot zu sehen ist,
ist nicht gerechtfertigt. Die vom Gesetzgeber verfolgten Gründe
sind nicht von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie ungleiche
Rechtsfolgen für Diskotheken einerseits und die übrigen
Gaststätten andererseits rechtfertigen könnten.
Zwar ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der
Landesgesetzgeber von einer besonders hohen
Schadstoffkonzentration in Diskotheken ausgeht. Er kann sich
hierfür auf einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen berufen.
Dieser Umstand macht jedoch, wenn für andere Gaststätten
Raucherräume zugelassen werden, den generellen Ausschluss dieser
Ausnahme für Diskotheken nicht erforderlich. Ist das Rauchen nur
noch in vollständig abgetrennten Nebenräumen erlaubt, so entfällt
das an die besondere Betriebsart anknüpfende Argument der
gesteigerten Gefährlichkeit von Passivrauchen in Diskotheken. Auch
der Hinweis auf die große Bedeutung von Nachahm- und
Nachfolgeeffekten bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen vermag
die unterschiedliche Behandlung von Diskotheken gegenüber anderen
Gaststättenarten nicht zu rechtfertigen. Um den angestrebten
Schutz dieser Bevölkerungsgruppe zu erreichen, reicht es aus, wenn
der Ausschluss von Raucherräumen auf solche Diskotheken beschränkt
wird, zu denen Personen unter 18 Jahren Zutritt haben.
III. Bei der erforderlichen Neuregelung können die Landesgesetzgeber
entweder dem Ziel des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung vor
den Gefahren des Passivrauchens Vorrang geben und sich unter
Verzicht auf Ausnahmetatbestände für eine strenge Konzeption des
Nichtraucherschutzes in Gaststätten entscheiden; oder sie können
im Rahmen eines weniger strengen Schutzkonzeptes, das den
Interessen der Gaststättenbetreiber und der Raucher mehr Raum
gibt, Ausnahmen vom Rauchverbot zulassen. Fällt die Entscheidung
zugunsten eines zurückgenommenen Gesundheitsschutzes, so müssen
die zugelassenen Ausnahmen vom Rauchverbot allerdings folgerichtig
auch auf besondere Belastungen einzelner Bereiche des
Gaststättengewerbes Rücksicht nehmen und gleichheitsgerecht
ausgestaltet sein. Daher darf der Gesetzgeber, der als Ausnahme
von einem Rauchverbot in Gaststätten das Rauchen in abgetrennten
Nebenräumen gestattet, insbesondere die Interessen der
getränkegeprägten Kleingastronomie nicht aus dem Blick verlieren.
Da die beengte räumliche Situation dieser Gaststätten
typischerweise nicht die Einrichtung abgetrennter Raucherbereiche
erlaubt, kommt für sie nur die Freistellung vom Rauchverbot in
Betracht.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Zulässigkeit des strikten
Rauchverbots (I 1) und hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit der
Regelung für die getränkegeprägte Kleingastronomie (I 2) mit
jeweils 6 : 2 Stimmen, im Übrigen einstimmig ergangen.
Sondervotum des Richters Bryde
Den angegriffenen Regelungen liegt aus der Perspektive des Gesetzgebers
ein schlüssiges Konzept zugrunde. Es ist nicht zu erkennen, dass die
Landesgesetzgeber das Ziel des Nichtraucherschutzes relativiert hätten,
so dass Lebens- und Gesundheitsschutz auch als Abwägungsposition
gegenüber wirtschaftlichen Interessen relativiert werden könnten. Die
Gesetze wollen Nichtrauchern eine rauchfreie Gastronomie garantieren,
das heißt mindestens einen rauchfreien Hauptraum. Ausnahmen vom
Rauchverbot sollen nur insoweit zugelassen werden, als diese den
Nichtraucherschutz nicht gefährden. Die Umsetzung dieses Konzepts mag
dem Gesetzgeber nicht perfekt gelungen sein, liegt aber im Rahmen
seiner Einschätzungsprärogative.
Sondervotum des Richters Masing
Die angegriffenen Regelungen beruhen auf dem gesetzlichen Konzept eines
anspruchsvollen, aber ausbalancierten Nichtraucherschutzes, das
verfassungsrechtlich grundsätzlich tragfähig ist. Demgegenüber wäre ein
ausnahmsloses Rauchverbot in Gaststätten unverhältnismäßig.
Die angegriffenen Regelungen beruhen auf dem Prinzip eines klaren
Vorrangs des Nichtraucherschutzes. Sie statuieren die Pflicht einer
jeden Gaststätte, das Angebot primär auf Nichtraucher auszurichten und
erlauben Raucherräume nur ergänzend. Das ist grundsätzlich auch
gegenüber Eckkneipen für den Gesundheitsschutz gerechtfertigt. Genauso
wenig wie kleine Unternehmen von Schutzauflagen im Umweltrecht müssen
Eckkneipen von Regelungen zum Gesundheitsschutz allgemein dispensiert
werden, weil diese sie hart treffen. Verfassungsrechtlich ausreichend
wären Härteregelungen zur Abmilderung des Übergangs. Nur insoweit, als
auch solche fehlen, sind die angegriffenen Regelungen
verfassungswidrig. Weitere Ausnahmen sind nicht geboten und entkräften
das gesetzliche Schutzkonzept substantiell.
Verfassungswidrig wäre hingegen ein radikales Rauchverbot in
Gaststätten ohne Ausnahme, worüber vorliegend nicht zu entscheiden war.
Für den Schutz von Nichtrauchern ist ein solches Verbot bei bestehenden
Nichtraucherräumen nicht erforderlich, und der Schutz von Eckkneipen
vor Abwanderung von Gästen rechtfertigt es grundsätzlich nicht. Auch
das Ziel der Suchtprävention kann es nicht tragen. Zwar hat der
Gesetzgeber hier erhebliche Gestaltungsspielräume. Der Gesetzgeber kann
aber nicht im Verbotswege das gesellige Beisammensein und Feiern bei
Tabak, Speise und Trank völlig aus dem öffentlichen Raum verbannen.
Eine solche kompromisslose Untersagung wäre unverhältnismäßig und trüge
die Gefahr paternalistischer Bevormundung.
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