Am 15. März 2004 ließ sich der Beschwerdeführer zusammen mit circa 40
anderen Personen aus Protest gegen die sich abzeichnende militärische
Intervention der USA im Irak auf der zu dem Luftwaffenstützpunkt der
US-amerikanischen Streitkräfte bei Frankfurt am Main führenden Ellis
Road nieder. Daraufhin wurde er vom Amtsgericht wegen Nötigung nach §
240 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt.
Das Landgericht verwarf die hiergegen gerichtete Berufung des
Beschwerdeführers. Die Demonstranten hätten den Tatbestand der Nötigung
erfüllt, indem sie mit der Sitzblockade gegenüber denjenigen
Fahrzeugführern Gewalt ausgeübt hätten, die durch vor ihnen anhaltende
Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert worden seien. Außerdem hätten sie
rechtswidrig gehandelt. Die von ihnen ausgeübte Gewalt sei Mittel zum
Zweck der Erregung von Aufmerksamkeit für bestimmte politische Zwecke
gewesen. Zwangseinwirkungen, die allein darauf abzielten, durch
gewaltsamen Eingriff in Rechte Dritter gesteigertes Aufsehen in der
Öffentlichkeit zu erregen, seien durch das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Zudem sei die Beeinträchtigung
fremder Freiheit ein völlig ungeeignetes Mittel zur Erreichung des
angestrebten Zweckes gewesen. Schließlich beseitigten
gesellschaftspolitische Motive nicht die Rechtswidrigkeit des Eingriffs
in Rechte Dritter, sondern seien in der Strafzumessung zu
berücksichtigen.
Mit der gegen die Entscheidung des Landgerichts gerichteten
Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des aus
Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots sowie der
Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
angegriffene Entscheidung aufgehoben, weil sie den Beschwerdeführer in
seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG
verletzt, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht
zurückverwiesen. Einen Verstoß gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende
Analogieverbot durch die umstrittene „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des
Bundesgerichtshofs konnte die Kammer dagegen nicht erkennen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die vom Landgericht bei der Auslegung des Gewaltbegriffs des
Nötigungstatbestandes herangezogene sogenannte
„Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs begegnet keinen
Bedenken in Bezug auf Art 103 Abs. 2 GG.
Nach dieser Vorschrift darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Daraus folgt für die Rechtsprechung ein Verbot, den Inhalt der
Strafvorschrift zu erweitern und damit Verhaltensweisen in die
Strafbarkeit einzubeziehen, die nach dem Wortsinn der Vorschrift den
Straftatbestand nicht mehr erfüllen.
In der vorliegenden Situation ergibt sich die Tatbestandsmäßigkeit des
Verhaltens der Demon- stranten gemäß § 240 Abs. 1 StGB nicht aus deren
unmittelbarer Täterschaft durch eigenhändige Gewaltanwendung, sondern
aus mittelbarer Täterschaft durch die ihnen zurechenbare Einwirkung des
ersten Fahrzeugführers als Tatmittler auf die nachfolgenden
Fahrzeugführer. Die vom Bundesverfassungsgericht in früheren
Entscheidungen für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB
geforderte körperliche Zwangswirkung liegt vor. Zwar entspricht es der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass dies nicht für das
Verhältnis der Demonstranten zu dem ersten Fahrzeugführer gilt, der aus
Rücksicht auf die Rechtsgüter der Demonstranten und damit allein aus
psychischem Zwang anhält. Eine körperliche Zwangswirkung kann jedoch im
Verhältnis des ersten Fahrzeugführers zu den nachfolgenden
Fahrzeugführern angenommen werden. Die Tatbestandsmäßigkeit des
Verhaltens der Demonstranten folgt daraus, dass diese den anhaltenden
ersten Fahrzeugführer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur
Errichtung eines körperlichen Hindernisses für die nachfolgenden
Fahrzeugführer benutzen. Dass hierbei im Verhältnis von Demonstranten zu
dem ersten Fahrzeugführer keine körperliche, sondern allein eine
psychische Zwangswirkung vorliegt, ist für § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB ohne
Belang, da die Einflussnahme eines mittelbaren Täters auf den Tatmittler
durchaus allein psychischer Natur sein darf. Auch die Annahme, dass die
Demonstranten über hinreichende Tatherrschaft beziehungsweise Willen zur
Tatherrschaft verfügen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Demonstranten versetzen den ersten Fahrzeugführer durch ihre
Sitzblockade gezielt in ein Dilemma, das dieser rechtlich nicht anders
als durch Stehenbleiben und damit durch Behinderung der nachfolgenden
Fahrzeugführer auflösen kann. Auch einem Laien ist es hinreichend
nachvollziehbar, dass ein Verhalten wie das der Demonstranten durch die
Blockade für die im Stau eingeschlossenen Fahrer eine körperliche
Zwangswirkung herbeiführt und damit als Nötigung tatbestandsmäßig sein
kann.
2. Die Entscheidung des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer
jedoch in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Das Landgericht
hat den Versammlungscharakter der Sitzblockade mit verfassungsrechtlich
nicht tragfähigen Gründen verneint. Dass die Aktion die Erregung
öffentlicher Aufmerksamkeit für bestimmte politische Belange bezweckte,
lässt den Schutz der Versammlungsfreiheit nicht entfallen, sondern macht
die gemeinsame Sitzblockade, die somit der öffentlichen Meinungsbildung
galt, erst zu einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG.
Die Ausführungen des Landgerichts rechtfertigen die Verurteilung des
Beschwerdeführers mit Blick auf die damit einschlägige
Versammlungsfreiheit nicht.
Gemäß § 240 Abs. 2 StGB ist die Nötigungshandlung rechtswidrig, wenn die
Anwendung der Gewalt im Verhältnis zum angestrebten Zweck als
verwerflich anzusehen ist. Die Entscheidung des Landgerichts wird den
diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Zum
einen hat es nicht sämtliche Gesichtspunkte in die gebotene Abwägung
eingestellt, zum anderen die zugunsten des Beschwerdeführers streitenden
Umstände fehlerhaft gewichtet. Zu Unrecht hat es insbesondere den Zweck
der Sitzblockade, Aufmerksamkeit zu erregen und auf diese Weise einen
Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, als einen für die
Verwerflichkeit der Tat sprechenden Gesichtspunkt zu Lasten des
Beschwerdeführers gewertet. Des Weiteren hat es verkannt, dass der
Kommunikationszweck nicht erst bei der Strafzumessung, sondern im Rahmen
der Verwerflichkeitsklausel gemäß § 240 Abs. 2 StGB, mithin bei der
Prüfung der Rechtswidrigkeit, zu berücksichtigen ist.
Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist des Weiteren, dass das
Landgericht bei der Abwägung die Dauer der Aktion, deren vorherige
Bekanntgabe, die Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die
Dringlichkeit des blockierten Transports sowie die Anzahl der von ihr
betroffenen Fahrzeugführer gänzlich außer Betracht gelassen hat.
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