Der Beschwerdeführer befindet sich seit 1999 aufgrund einer Verurteilung
wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener Gewalttaten im
Maßregelvollzug. Die Maßregelvollzugsklinik kündigte ihm schriftlich die
Behandlung „mit einem geeigneten Neuroleptikum, das eventuell auch gegen
Ihren Willen intramuskulär gespritzt wird“, an. Den hiergegen
gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung
wies das Landgericht mit der Maßgabe zurück, dass eine zwangsweise
medikamentöse Therapie mittels atypischer Neuroleptika für einen
Zeitraum von sechs Monaten zulässig sei. Die hiergegen gerichtete
Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des rheinland-pfälzischen
Maßregelvollzugsgesetzes (MVollzG Rh.-Pf.) sind operative Eingriffe,
Behandlungen und Untersuchungen des Untergebrachten nur mit seiner
Einwilligung zulässig, wenn sie mit einem wesentlichen gesundheitlichen
Risiko oder einer Gefahr für das Leben des untergebrachten Patienten
verbunden sind; sonstige operative Eingriffe, Behandlungen und
Untersuchungen sind ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten
zulässig bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit
des untergebrachten Patienten oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer
Personen. Ferner bestimmt der im konkreten Fall als Rechtsgrundlage
herangezogene § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. in seinem ersten
Halbsatz, dass im Übrigen Behandlungen und Untersuchungen zur Erreichung
des Vollzugsziels ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten
durchgeführt werden können.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 6
Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. mit dem Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem
Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar
und nichtig ist. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen
Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts wurden
aufgehoben, da sie mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage für die
angekündigte Zwangsbehandlung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht
auf körperliche Unversehrtheit verletzen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen dessen
natürlichen Willen (Zwangsbehandlung) greift in besonders
schwerwiegender Weise in dessen Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein.
Dem Gesetzgeber ist es nicht prinzipiell verwehrt, solche Eingriffe
zuzulassen. Dies gilt auch für eine Behandlung, die der Erreichung des
Vollzugsziels dient, also darauf gerichtet ist, den Untergebrachten
entlassungsfähig zu machen. Zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs
kann das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des
Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 GG) geeignet sein, sofern der
Untergebrachte zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die
Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher
Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Soweit unter dieser
Voraussetzung ausnahmsweise eine Befugnis zur Zwangsbehandlung
anzuerkennen ist, eröffnet dies keine „Vernunfthoheit“ staatlicher
Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein
deshalb beiseite gesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen
Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint.
Maßnahmen der Zwangsbehandlung dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie im
Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg
versprechen und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden
sind, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Sie dürfen
nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Eine weniger eingreifende
Behandlung muss aussichtslos erscheinen. Der Zwangsbehandlung muss,
soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, unabhängig von seiner
Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der ernsthafte, mit dem nötigen
Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch
vorausgegangen sein, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung des
Untergebrachten zu erreichen.
Der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte ist zudem zur
Wahrung seiner Grundrechte in besonders hohem Maße auf
verfahrensrechtliche Sicherungen angewiesen. Jedenfalls bei planmäßigen
Behandlungen ist eine hinreichend konkrete Ankündigung erforderlich, die
dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig Rechtsschutz zu
suchen. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit unabdingbar ist die
Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch
einen Arzt. Zur Sicherung der Effektivität des Rechtsschutzes und der
Verhältnismäßigkeit ist es geboten, gegen den Willen des Untergebrachten
ergriffene Behandlungsmaßnahmen eingehend zu dokumentieren. Im Hinblick
auf die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen, denen
der Untergebrachte ausgesetzt ist, muss darüber hinaus sichergestellt
werden, dass der Durchführung einer Zwangsbehandlung zur Erreichung des
Vollzugsziels eine Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der
Unterbringungseinrichtung vorausgeht. Die Ausgestaltung der Art und
Weise, in der dies geschieht, ist Sache des Gesetzgebers.
Die wesentlichen materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen des
Eingriffs bedürfen gesetzlicher Regelung.
Die Eingriffsermächtigung des § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. genügt,
auch in Verbindung mit weiteren Bestimmungen des rheinland-pfälzischen
Maßregelvollzugsgesetzes, diesen Anforderungen nicht. Insbesondere fehlt
es an der gesetzlichen Regelung des unabdingbaren Erfordernisses
krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit. Auch eine Reihe weiterer
für den Grundrechtsschutz wesentlicher Eingriffsvoraussetzungen ist
nicht oder nur unzureichend geregelt.
weitere Pressemitteilungen
|