Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in einem weiteren
Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung wegen
Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Untergebrachten und des
rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebotes aufgehoben und die Sache zur
erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Beschwerdeführer wurde 1987 wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren
und 1997 wegen Totschlags zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zum
Zeitpunkt der zweiten Verurteilung war eine Anordnung der
Sicherungsverwahrung rechtlich (noch) nicht möglich, weil diese nach der
damals geltenden Rechtslage mindestens drei vorsätzliche Straftaten
voraussetzte. Erst der zum 1. April 1998 eingeführte § 66 Abs. 3 StGB
ließ eine Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits nach zwei
vorsätzlichen Straftaten zu. Die Möglichkeit einer nachträglichen
Anordnung der Sicherungsverwahrung wurde 2004 eingeführt und mit der
2007 erfolgten Änderung von § 66b Abs. 1 Satz 1 sowie der Einführung von
§ 66b Abs. 1 Satz 2 StGB dahingehend erweitert, dass nunmehr die
Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich angeordnet werden durfte,
wenn zum Zeitpunkt der Verurteilung wegen der Anlasstat aus
Rechtsgründen keine primäre Sicherungsverwahrung angeordnet werden
konnte. In Anwendung dieser neuen Rechtsgrundlage wurde im Jahr 2009
nachträglich die Unterbringung des Beschwerdeführers in der
Sicherungsverwahrung angeordnet.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 4. Mai 2011 alle
Vorschriften des Strafgesetzbuches und des Jugendgerichtsgesetzes über
die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung wegen Verstoßes gegen
das Abstandsgebot für unvereinbar mit dem Freiheitsgrundrecht erklärt.
Darüber hinaus hat es für die mit den dort zugrundeliegenden
Verfassungsbeschwerden konkret angegriffenen Vorschriften zur
nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die früher
geltende Höchstfrist hinaus und zur nachträglichen Anordnung der
Sicherungsverwahrung - zu denen § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB nicht
zählte - auch die Unvereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen
Vertrauensschutzgebot festgestellt. Nach Maßgabe der im Urteil vom 4.
Mai 2011 getroffenen Übergangsregelungen darf auf der Grundlage dieser
auch wegen Verstoßes gegen das Vertrauensschutzgebot für
verfassungswidrig erklärten Vorschriften die Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung bzw. deren Fortdauer nur noch unter Wahrung
strikter Verhältnismäßigkeitsanforderungen angeordnet werden; nämlich,
wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten
aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des
Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung
im Sinne von § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes
(ThUG) leidet.
Über die Einzelheiten des Urteils vom 4. Mai 2011 informiert die
Pressemitteilung 31/2011 vom 4. Mai 2011. Sie kann auf der Homepage des
Bundesverfassungsgerichts eingesehen werden.
Mit der nun getroffenen Entscheidung hat der Zweite Senat klargestellt,
dass die im Urteil vom 4. Mai 2011 festgesetzten höheren Anforderungen
an die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung immer dann
gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - in das schutzwürdige Vertrauen
des Betroffenen auf ein Unterbleiben seiner Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung eingegriffen wird. Die Gerichte sind daher bis zu
einer Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung gehalten, über die
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011
zugrundeliegenden Fallgestaltungen hinaus auch in den anderen
Konstellationen, in denen das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen in
das Unterbleiben der Sicherungsverwahrung beeinträchtigt wird, die
Sicherungsverwahrung nur noch dann anzuordnen oder aufrechtzuerhalten,
wenn die besonderen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit erfüllt
sind. Ob diese Voraussetzungen im Fall des Beschwerdeführers gegeben
sind, wird das Landgericht zu prüfen haben.
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