Nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) steht dem Urheber eines Werkes das
alleinige Verbreitungsrecht zu. § 17 Abs. 1 UrhG definiert das
Verbreitungsrecht als das Recht, das Original oder
Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in
Verkehr zu bringen. Die Vorschrift dient unter anderem der Umsetzung von
Art. 4 der europäischen Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG. Der Begriff
der Verbreitung umfasste nach bislang allgemeiner Auffassung jede
Handlung, durch die das Werk der allgemeinen Öffentlichkeit zugeführt
wurde, wofür jede Besitzüberlassung ausreichte. Daneben enthält § 96
UrhG ein Verwertungsverbot für rechtswidrig hergestellte
Vervielfältigungsstücke.
Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach
italienischem Recht mit Sitz in Italien, produziert Möbel nach Entwürfen
des 1965 verstorbenen Architekten und Möbeldesigners Le Corbusier und
nimmt in Lizenz dessen Urheberrechte wahr. Die Beklagte des
Ausgangsverfahrens, eine Zigarrenherstellerin, richtete in einer Kunst-
und Ausstellungshalle eine Zigarrenlounge ein, in der sie Nachbildungen
von Le-Corbusier-Möbeln aufstellte. Mit ihrer hiergegen gerichteten
Unterlassungsklage obsiegte die Beschwerdeführerin vor dem Landgericht
und dem Oberlandesgericht.
Der Bundesgerichtshof wies dagegen die Klage mit der Begründung ab, dass
das Aufstellen der Möbel weder das Verbreitungsrecht verletze noch gegen
das Verwertungsverbot verstoße. Er stützte seine Entscheidung auf ein
Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der in einem
Parallelverfahren auf eine Vorlage des Bundesgerichtshofs hin
entschieden hatte, dass eine Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der
Urheberrechtsrichtlinie nur bei Übertragung des Eigentums vorliege.
Danach sei - so der Bundesgerichtshof - das Verbreitungsrecht nicht
verletzt, wenn Nachbildungen urheberrechtlich geschützter Möbel der
Öffentlichkeit lediglich zum Gebrauch zugänglich gemacht würden. Die
Urheberrechtsrichtlinie stelle eine verbindliche Regelung im Sinne eines
Maximalschutzes dar, über den ein mitgliedstaatliches Gericht nicht
hinausgehen dürfe.
Die Beschwerdeführerin sieht sich dadurch in ihrem verfassungsmäßigen
Eigentumsrecht verletzt. Zudem rügt sie eine Verletzung ihres Rechts auf
den gesetzlichen Richter, weil der Bundesgerichtshof vorab dem EuGH die
Fragen hätte vorlegen müssen, ob die Gebrauchsüberlassung von
Werkstücken überhaupt in den Anwendungsbereich der
Urheberrechtsrichtlinie falle und ob die Richtlinie einen Maximalschutz
begründe.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Zwar ist die
Beschwerdeführerin als ausländische juristische Person mit Sitz in der
Europäischen Union Trägerin von Grundrechten des Grundgesetzes. Sie ist
im Streitfall jedoch nicht in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit der Frage befasst, ob
ausländische juristische Personen, die ihren Sitz in der Europäischen
Union haben, Träger materieller Grundrechte des Grundgesetzes sein
können, und dies bejaht.
Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische
juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar
sind. Auch wenn es sich bei juristischen Personen aus Mitgliedstaaten
der EU nicht um „inländische“ im Sinne des Grundgesetzes handelt,
entspricht eine Anwendungserweiterung des Grundrechtsschutzes auf diese
juristische Personen den durch die europäischen Verträge übernommenen
vertraglichen Verpflichtungen, die insbesondere in den europäischen
Grundfreiheiten und dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung aus
Gründen der Staatsangehörigkeit zum Ausdruck kommen. Diese verpflichten
die Mitgliedstaaten und alle ihre Organe und Stellen, juristische
Personen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat auch im Hinblick auf den zu
erlangenden Rechtsschutz Inländern gleichzustellen. Die
europarechtlichen Vorschriften verdrängen Art. 19 Abs. 3 GG nicht,
sondern veranlassen lediglich die Erstreckung des Grundrechtsschutzes
auf weitere Rechtssubjekte des Europäischen Binnenmarkts. Die
Gleichstellung setzt einen hinreichenden Inlandsbezug der juristischen
Person voraus, der regelmäßig vorliegen wird, wenn die ausländische
juristische Person in Deutschland tätig wird und hier vor den
Fachgerichten klagen und verklagt werden kann.
2. Das Bundesverfassungsgericht hatte weiter zu klären, ob und inwieweit
die Fachgerichte das von ihnen anzuwendende, ganz oder teilweise
unionsrechtlich harmonisierte deutsche Recht am Maßstab des deutschen
Grundgesetzes und des Rechts der Europäischen Union zu messen haben und
inwieweit das Bundesverfassungsgericht die fachgerichtliche Auslegung
seinerseits am Grundgesetz überprüft. Die Zivilgerichte haben bei der
Auslegung des Urheberrechts den Eigentumsschutz nach dem Grundgesetz zu
beachten, soweit das europäische Recht hierbei Auslegungsspielräume
lässt. Halten die Gerichte eine Vollharmonisierung durch das Unionsrecht
für eindeutig, ohne ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu
richten, unterliegt dies der Überprüfung durch das
Bundesverfassungsgericht, das hierbei nicht auf eine bloße
Willkürkontrolle beschränkt ist. Fehlt es an einem mitgliedstaatlichen
Auslegungsspielraum, müssen die Gerichte das anwendbare Unionsrecht bei
gegebenem Anlass auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten des
Unionsrechts prüfen und, wenn erforderlich, ein
Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH einleiten.
Nach diesen Maßstäben ist die Beschwerdeführerin durch das angegriffene
Urteil nicht in ihrem von Art. 14 Abs. 1 GG umfassten Urheberrecht, die
Verbreitung von Vervielfältigungsstücken der Möbel zu kontrollieren,
verletzt. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, die
Urheberrechtsrichtlinie in der Auslegung durch den EuGH lasse keinen
Spielraum für die Einbeziehung der bloßen Gebrauchsüberlassung von
Möbelplagiaten in den Schutz des Urheberrechts, ist von Verfassungs
wegen nicht zu beanstanden. Der EuGH hat im Parallelverfahren etwaige
Umsetzungsspielräume nicht erwähnt und Erweiterungen des
Verbreitungsbegriffs ausdrücklich dem Unionsgesetzgeber vorbehalten. Der
Bundesgerichtshof konnte davon ausgehen, dass das Urteil des EuGH ihm
keinen Spielraum für eine verfassungskonforme Auslegung von § 17 UrhG
lässt.
3. Das angegriffene Urteil entzieht die Beschwerdeführerin nicht ihrem
gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Nach der
Rechtsprechung des EuGH muss ein nationales letztinstanzliches Gericht
seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden
Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechts stellt, es sei denn, das
Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht
entscheidungserheblich ist, dass sie bereits Gegenstand einer Auslegung
durch den EuGH war oder dass die richtige Anwendung des
Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen
Zweifel keinerlei Raum bleibt. Das Bundesverfassungsgericht überprüft
nur, ob die Anwendung dieser Regeln offensichtlich unhaltbar ist.
Indem der Bundesgerichtshof die von ihm für entscheidungserheblich
gehaltenen Fragen im Parallelverfahren dem EuGH vorgelegt hat, hat er
seine Vorlagepflicht auch im Streitfall nicht grundsätzlich verkannt.
Dem angegriffenen Urteil ist die vertretbare Überzeugung zu entnehmen,
dass Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie eine vollharmonisierte
Regelung des Verbreitungsrechts darstellt und der EuGH die Auslegung des
Verbreitungsbegriffs der Richtlinie abschließend und umfassend geklärt
hat.
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