Das Bundesverfassungsgericht kann unter anderem gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr.
3 GG angerufen werden, wenn zwischen Bund und Ländern
Meinungsverschiedenheiten über die gegenseitigen verfassungsmäßigen
Rechte und Pflichten bestehen (Bund-Länder-Streit). Nach dem Wortlaut
des § 68 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) können für den
Bund nur die Bundesregierung und für ein Land nur die Landesregierung
Antragsteller in einem solchen Verfahren sein.
Der Schleswig-Holsteinische Landtag und der Landtagspräsident haben für
das Land Schleswig Holstein einen Antrag im Bund-Länder-Streit gestellt,
der sich gegen die Verankerung der sog. „Schuldenbremse“ im Grundgesetz
(Neufassung des Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und 5 GG) richtet. Diese
beinhaltet im Wesentlichen das grundsätzliche Verbot für Bund und
Länder, ihre Haushalte durch Kreditaufnahmen auszugleichen und ist von
den Ländern ab dem Jahr 2020 einzuhalten. Der Schleswig-Holsteinische
Landtag und dessen Präsident sehen das Land hierdurch in seiner
Verfassungsautonomie verletzt.
Sie sind ferner der Auffassung, für das Land antragsberechtigt zu sein.
Eine Beschränkung der Antragsberechtigung auf die Landesregierung allein
aufgrund des Wortlauts des § 68 BVerfGG überzeuge nicht. Aus der
Entstehungsgeschichte sowohl des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG als auch des §
68 BVerfGG ergebe sich, dass die Konstellation einer Streitigkeit
zwischen Parlamenten von Bund und Ländern über ihre
Gesetzgebungskompetenzen - wie sie hier vorliege - übersehen worden sei.
Diese Lücke müsse durch verfassungsgerichtliche Rechtsfortbildung
dahingehend geschlossen werden, dass bei einem solchem
„Legislativstreit“ die Landesparlamente unabhängig vom
Rechtsverfolgungswillen ihrer Regierungen für das Land
vertretungsberechtigt seien. Zumindest verlange das Gebot effektiven
Rechtsschutzes die Zulassung einer Vertretungsbefugnis des Landtags im
Wege der Prozessstandschaft.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag verworfen,
weil er mangels Antragsberechtigung des Landtags und dessen Präsidenten
unzulässig ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die Beschränkung der Antragsberechtigung im Bund-Länder Streit auf
die jeweiligen Regierungen durch § 68 BVerfGG begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Begrenzung der Antragsberechtigung
ist durch sachliche Erwägungen begründet. Sie dient der Vermeidung eines
ebenenübergreifenden Organstreits und widersprüchlicher
Prozesshandlungen. Auch bei Auseinandersetzungen um
Gesetzgebungskompetenzen führt diese Regelung nicht zu erkennbaren
Defiziten. Die Landesparlamente haben, sofern sie die Landesregierung
nicht kraft ihrer Regierungsbildungs- und Kontrollfunktion zur Führung
eines Bund-Länder-Streits anhalten können, die Möglichkeit, mit Hilfe
einer Organklage vor dem Landesverfassungsgericht deren Verpflichtung
zur Antragstellung zu erstreiten. Das Bundesgesetz kann zudem im
Verfahren der abstrakten Normenkontrolle angegriffen werden. Die
Antragsteller können sich auch nicht auf eine Verletzung der Garantie
effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) berufen, weil diese als
„formelles Hauptgrundrecht“ der Durchsetzung von Rechten natürlicher und
juristischer Personen des Privatrechts dient und auf
Gebietskörperschaften und deren Organe grundsätzlich keine Anwendung
findet. Das Rechtsstaatsprinzip und der Grundsatz der
Bundesstaatlichkeit sind durch § 68 BVerfGG ebenfalls nicht verletzt.
2. Die Regelung ist auch keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Der
Gesetzgeber hat nicht übersehen, dass der Bund-Länder-Streit nicht nur
Exekutivstreitigkeiten, sondern auch Streitigkeiten über den Umfang der
Gesetzgebungskompetenzen zum Gegenstand haben kann. Soweit der
(verfassungsändernde) Gesetzgeber in der Folgezeit eigenständige
Antragsbefugnisse der Landtage eingeführt hat, etwa in Art. 93 Abs. 1
Nr. 2a und Abs. 2 GG, handelt es sich um eng begrenzte Ausnahmefälle.
3. Die Annahme einer Prozessstandschaft des Landtags kommt nicht in
Betracht. Deren Wesen ist es, dass fremde Rechte in eigenem Namen
verfolgt werden. Eine Prozessstandschaft für die Landesregierung im
Bund-Länder-Streit ist danach ausgeschlossen, weil es hier nicht um eine
Verletzung von Zuständigkeiten der Landesregierung geht; eine
Prozessstandschaft für das Land scheidet aus, weil sie auf eine Umgehung
von § 68 BVerfGG hinausliefe.
weitere Pressemitteilungen
|