Eine Gruppe von Beschwerdeführern, die sich mit ihren
Verfassungsbeschwerden gegen Rechtsakte und Maßnahmen im Zusammenhang
mit der Griechenland-Hilfe und dem Euro-Rettungsschirm wenden, hat im
August 2011 den in diesen Verfahren als Berichterstatter zuständigen
Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio wegen
der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Richter habe zwischen
April 2010 und Mai 2011 an insgesamt zwölf Veranstaltungen teilgenommen,
die Bezüge zum Themenkomplex „Griechenland-Hilfe“ und
„Euro-Rettungsschirm“ aufgewiesen hätten, und sich dort jeweils
thematisch einschlägig geäußert. Sowohl diese Umstände als auch weitere
schriftliche Äußerungen des Richters zur Eurokrise in diversen
Nachrichtenmagazinen und sonstigen Publikationen seien mit der gebotenen
richterlichen Zurückhaltung nicht vereinbar und geeignet, Zweifel an der
Unvoreingenommenheit des Richters zu begründen. Letzteres gelte auch für
sein prozessuales Verhalten in den anhängigen Verfahren. So sei über
ihren Antrag, der Bundesregierung im Wege der einstweiligen Anordnung
eine Zustimmung zur Gewährung von Finanzhilfen an Portugal im Rahmen des
Euro-Rettungsschirms zu untersagen, erst durch das
Bundesverfassungsgericht ablehnend entschieden worden, nachdem die
Bundesregierung ihre Zustimmung bereits erteilt habe. Zudem seien ihre
Verfassungsbeschwerden in die mündliche Verhandlung am 5. Juli 2011 in
Sachen „Griechenland-Hilfe/Euro-Rettungsschirm“ willkürlich nicht
miteinbezogen worden.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat das
Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen, da die vorgetragenen
Umstände bei vernünftiger Würdigung keinen Anlass bieten, an der
Unvoreingenommenheit des Richters Di Fabio zu zweifeln. Dass ein Richter
des Bundesverfassungsgerichts eine bestimmte wissenschaftliche Meinung,
Rechtsauffassung oder politische Überzeugung hat und diese auch nach
außen offenbart und vertritt, begründet für sich genommen noch keine
berechtigten Zweifel an seiner Unparteilichkeit. Das Grundgesetz und das
Gesetz über das Bundesverfassungsgericht setzen voraus, dass die Richter
des Bundesverfassungsgerichts gleichwohl ihr Amt im Bemühen um
Objektivität wahrnehmen. Das Vertrauen in die richterliche
Unvoreingenommenheit kann daher durch solche Äußerungen nur gefährdet
sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die aus der Sicht eines
Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Befürchtung geben, der Richter sei
bei der Entscheidungsfindung einem offenen rechtlichen Diskurs - sei es
mit den Verfahrensbeteiligten, sei es im Rahmen der Beratung des Senats
- nicht mehr zugänglich und werde ihre Argumente nicht ernsthaft
erwägen.
Die von den Beschwerdeführern beanstandeten Veröffentlichungen, Vorträge
und Äußerungen des Richters Di Fabio rechfertigen bei vernünftiger
Würdigung von Inhalt, Form und Rahmen sowie sachlichem und zeitlichem
Bezug zu den anhängigen Verfahren keine Zweifel an dessen
Unvoreingenommenheit in der Sache. Dass er als Professor des
Öffentlichen Rechts publizistisch tätig ist und sich dabei auch mit den
aktuellen Problemen der Europäischen Union befasst hat, ist zur
Begründung der Besorgnis seiner Befangenheit nicht ausreichend.
Wissenschaftliche Äußerungen eines Bundesverfassungsrichters zu einer
Rechtsfrage führen nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht zu
seinem Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes (§ 18 Abs. 3 Nr. 2
BVerfGG) und können daher für sich genommen auch keine Besorgnis der
Befangenheit rechtfertigen. Zusätzliche, eine Voreingenommenheit
nahelegende Umstände sind nicht dargetan. Gleiches gilt im Hinblick auf
die beanstandeten Vorträge des Richters. Sie bieten insbesondere mit
Blick auf die Art und Weise seiner Darstellung keinen Anlass zu der
Befürchtung, der Richter werde sich bei der Beratung und Entscheidung
über die von den Beschwerdeführern geführten Verfassungsstreitverfahren
von anderen als rechtlichen Erwägungen leiten lassen oder es fehle ihm
an der gebotenen Offenheit für eine juristische Auseinandersetzung über
die dafür maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundlagen.
Die Besorgnis der Befangenheit lässt sich auch nicht aus dem
prozessualen Verhalten des Richters herleiten. Der Umstand, dass über
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht bereits vor
der Zustimmung der Bundesregierung, die die Beschwerdeführer mit ihrem
Antrag verhindern wollten, entschieden worden ist, rechtfertigt nicht
die Annahme, Zeitpunkt oder Inhalt dieser Entscheidung hätten auf
unsachlichen Erwägungen des Berichterstatters beruht. Auch die Vermutung
der Beschwerdeführer, die Nichteinbeziehung ihrer Verfahren in die
mündliche Verhandlung am 5. Juli 2011 sei auf sachfremde Erwägungen
zurückzuführen, entbehrt jeglicher Grundlage. Es entspricht ständiger
Übung der Senate des Bundesverfassungsgerichts, bei einer Vielzahl von
Verfassungsbeschwerden, die denselben Sachverhalt betreffen, zunächst
einige wenige als Pilotverfahren für eine mündliche Verhandlung
auszuwählen.
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