Im Zuge der Bahnreform wurden Anfang 1994 die Deutsche Bundesbahn und
die Deutsche Reichsbahn zu einem nicht rechtsfähigen Sondervermögen des
Bundes, dem Bundeseisenbahnvermögen, zusammengeführt und die
privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG gegründet. Bei der
Aufteilung der Liegenschaften zwischen dem Bundeseisenbahnvermögen und
der Deutschen Bahn AG wurden nicht nur die sogenannten bahnnotwendigen
Liegenschaften, sondern zum Teil auch nicht bahnnotwendige
Liegenschaften auf die Deutsche Bahn AG übertragen. Um sich von diesen
nicht oder nicht mehr als bahnnotwendig erachteten Immobilien zu
trennen, gründete die Deutsche Bahn AG Tochterunternehmen, an die sie
die betreffenden Immobilien, darunter vornehmlich nicht mehr benötigte
Verwaltungsgebäude, veräußerte. Im Jahr 2007 beabsichtigte die Deutsche
Bahn AG, die Gesellschaften in ihrer Gänze an ein Konsortium zu
veräußern. Der hierzu im September 2007 notariell beurkundete
Kaufvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung einer Genehmigung
durch die Bundesregierung. Über die Veräußerung der Gesellschaften wurde
in der Folgezeit im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages beraten,
zuletzt am 10. Oktober 2007, bevor die Bundesregierung im November 2007
ihre Genehmigung hierzu erteilte.
Die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag hat am 23. Mai 2008 im
Organstreitverfahren sinngemäß die Feststellung beantragt, dass die
Bundesregierung die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 110 GG in
Verbindung mit Art. 87e GG dadurch verletzt habe, dass sie eine
parlamentarische Zustimmung zu ihrer Genehmigung des
Veräußerungsgeschäfts nicht eingeholt habe.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Antrag verworfen,
weil er in mehrfacher Hinsicht unzulässig ist. Zum einen kommt das von
der Antragstellerin geltend gemachte Beteiligungsrecht des Deutschen
Bundestages unter keinem denkbaren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt
in Betracht. Des Weiteren ist der Antrag im Organstreitverfahren nicht
fristgerecht gestellt worden. Überdies fehlt ihm das erforderliche
Rechtsschutzbedürfnis.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Ein parlamentarisches Zustimmungsrecht ergibt sich weder aus Art. 110
GG noch unter dem Aspekt einer von der Antragstellerin angeführten
„Budgetflucht“ oder auf der Grundlage eines ungeschriebenen
Parlamentsvorbehalts.
Art. 110 Abs. 2 GG bestimmt, dass der Haushaltsplan durch das
Haushaltsgesetz festzustellen ist. In ihn sind nach Art. 110 Abs. 1 GG
alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes einzustellen, d. h. solche der
Gebietskörperschaft Bund. Die Grundgesetzbestimmung erstreckt sich
jedoch nicht auf Einnahmen und Ausgaben von bundesunmittelbaren
juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder von privatrechtlich
organisierten Gesellschaften, die im Eigentum des Bundes stehen oder an
denen er beteiligt ist. Daher wird die Veräußerung der
Tochtergesellschaften hiervon nicht erfasst. Denn Inhaberin der
veräußerten Gesellschaften war die Deutsche Bahn AG, nicht aber der
Bund, dem durch die Veräußerung keine Mittel zuflossen.
Zudem schreibt Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG die Feststellung des
Haushaltsplans durch Gesetz vor, weist aber dem Bundestag keine
Zustimmungsrechte zu Maßnahmen der Haushaltsführung der Exekutive zu.
Sofern wegen nachträglicher Abweichungen vom Haushaltsplan eine
Beteiligung des Bundestages haushaltsverfassungsrechtlich geboten ist,
erfolgt diese in der Form eines Nachtragshaushaltsgesetzes.
Die Bundesregierung war zur Einholung einer parlamentarischen Zustimmung
auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer „Budgetflucht“ verpflichtet.
Die haushalterische Selbständigkeit der Deutsche Bahn AG ist
verfassungsrechtlich durch die Einführung des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG
legitimiert. Danach sind die Eisenbahnen des Bundes als
Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führen. Hierdurch
sollte die kommerzielle Ausrichtung der Eisenbahnen abgesichert und
ihnen ein Bereich unternehmerischer Selbstbestimmung eingeräumt werden.
Mit dieser Zielsetzung wäre es unvereinbar, die einzelnen
wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmens unter parlamentarische
Kontrolle zu stellen.
Auch Art. 87e Abs. 4 GG sind keine verfassungsrechtlichen Vorgaben zu
entnehmen, die ein Zustimmungsrecht des Bundestages bei der Veräußerung
von Vermögenswerten der Deutsche Bahn AG begründen. Nach dieser
Bestimmung hat der Bund zu gewährleisten, dass dem Wohl der
Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und
Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren
Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung getragen wird. Soweit
danach ferner das Nähere durch ein Bundesgesetz geregelt wird, hat der
Deutsche Bundestag seinen Anteil an der Erfüllung der
Gewährleistungspflicht im Wege der Gesetzgebung zu leisten. Räumte man
ihm darüber hinaus Beteiligungsrechte an unternehmerischen
Einzelentscheidungen der Deutsche Bahn AG ein, würde deren Fähigkeit zum
verfassungsrechtlich gewollten Handeln nach marktwirtschaftlicher
Handlungsrationalität in erheblichem Maße beeinträchtigt. Zudem ist die
Bestimmung des Art. 87e Abs. 4 GG auf den Bereich der
Eisenbahninfrastruktur und die Eisenbahnverkehrsleistungen sachlich
beschränkt. Die Veräußerung der Tochtergesellschaften betrifft
demgegenüber ausschließlich nicht bahnnotwendige Liegenschaften.
2. Der Antrag vom 23. Mai 2008 ist überdies verfristet, weil er nicht
binnen der im Organstreitverfahren gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG geltenden
Sechs-Monats-Frist ab Bekanntwerden der beanstandeten Maßnahme gestellt
wurde. Sowohl der Abschluss des Kaufvertrages als auch der Umstand, dass
die Bundesregierung ihre Genehmigung hierzu nicht von einer
parlamentarischen Zustimmungserklärung abhängig machen wollte, war den
Mitgliedern des Verkehrsausschusses spätestens in ihrer letzten Sitzung
am 10. Oktober 2007 bekannt. Die Kenntnis eines Ausschusses haben sich
der Deutsche Bundestag und damit auch die Fraktionen zurechnen zu
lassen, so dass die Antragsfrist mit Ablauf des 10. April 2008 endete.
3. Schließlich ist der Antrag unzulässig, weil ihm das erforderliche
Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Antragstellerin hat es pflichtwidrig
unterlassen, sich vor der Einleitung des Organstreitverfahrens auf das
dem Deutschen Bundestag vermeintlich zustehende Beteiligungsrecht zu
berufen.
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