Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei miteinander verbundenen
Verfahren darüber entschieden, ob personenbezogene Informationen aus
einer präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung in einem Urteil
verwertet werden durften und ob die Annahme einer Betrugsstrafbarkeit
durch den Abschluss von Lebensversicherungen mit dem Bestimmtheitsgebot
des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Durch Urteil vom 3. März 2004
stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass Vorschriften der
Strafprozessordnung über die akustische Wohnraumüberwachung unvereinbar
mit dem Grundgesetz sind, weil sie keine Vorkehrungen zum Schutz des
Kernbereichs privater Lebensgestaltung enthielten, und ordnete
gleichzeitig die bis Juni 2005 befristete Fortgeltung der betroffenen
Vorschriften unter Berücksichtigung des Schutzes der Menschenwürde und
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit an.
Die drei Beschwerdeführer sind im Jahre 2007 erstinstanzlich wegen
Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung bzw.
deren Unterstützung in Tateinheit mit versuchtem bandenmäßigen Betrug in
28 tateinheitlich begangenen Fällen jeweils zu mehrjährigen
Freiheitsstrafen verurteilt worden. Nach den strafgerichtlichen
Feststellungen planten die Beschwerdeführer zur Beschaffung von
Geldmitteln für die Organisation Al Qaida, Lebensversicherungsverträge
abzuschließen, um sodann durch Vorlage noch in Ägypten zu beschaffender
unrichtiger amtlicher Dokumente den tödlichen Unfall eines der
Beschwerdeführer vorzutäuschen und das jeweilige
Versicherungsunternehmen zur Auszahlung der Versicherungssumme zu
veranlassen. In 28 Fällen beantragten die Beschwerdeführer den Abschluss
einer Lebensversicherung; letztlich wurden neun Versicherungsverträge
abgeschlossen. Bevor die Beschwerdeführer ihren Tatplan weiter in die
Tat umsetzen konnten, wurden sie festgenommen. Die Verurteilung beruhte
unter anderem auf den Erkenntnissen aus einer präventiv-polizeilichen
Wohnraumüberwachung, die im Jahre 2004 vor Einleitung des
strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die Beschwerdeführer über
mehrere Monate wegen des Verdachts der Planung terroristischer Anschläge
durchgeführt worden war. Die richterliche Anordnung dieser
Überwachungsmaßnahmen erging auf Grundlage des § 29 des
Rheinland-Pfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG RP),
wonach eine Wohnraumüberwachung als polizeiliche Präventivmaßnahme zur
Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit,
insbesondere zur Verhütung schwerwiegender Straftaten, durchgeführt
werden kann. Die im Jahre 2004 geltende Fassung des § 29 POG RP enthielt
keine Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung.
Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereichsschutz im
Urteil vom 3. März 2004 wurden 2005 durch die Einführung entsprechender
ergänzender Regelungen des § 29 POG RP umgesetzt.
Der Bundesgerichtshof hat die Verwertbarkeit der durch die
präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung erlangten Erkenntnisse
bestätigt. Dass die Ermächtigungsgrundlage des § 29 POG RP 2004 nicht in
vollem Umfang den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum
Kernbereichschutz entsprochen habe, führe nicht zu einem
Beweisverwertungsverbot. Den Schuldspruch hat der Bundesgerichtshof
dahin abgeändert, dass die Beschwerdeführer in den Fällen, in denen es
zum Abschluss der Lebensversicherungen gekommen sei, wegen vollendeten
Betruges und in den übrigen Fällen des versuchten Betruges schuldig
seien.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat das Urteil des
Bundesgerichtshofs aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen, weil
der Schuldspruch wegen vollendeten bzw. versuchten Betruges gegen das
Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Die Verwertung von
Erkenntnissen aus der Wohnraumüberwachung verletzt die Beschwerdeführer
dagegen nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
I. Die Verwertung von Informationen aus den präventiv-polizeilichen
Wohnraumüberwachungsmaßnahmen ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
1. Sie verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf ein faires
Strafverfahren. Ein Beweisverwertungsverbot stellt von Verfassungs wegen
eine begründungsbedürftige Ausnahme dar, weil es die Beweismöglichkeiten
der Strafverfolgungsbehörden einschränkt und so die Findung einer
materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt. Aus
verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten,
wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem
Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang
und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine
zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die
Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine
Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen
Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht werden, wo dies zu
einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein
Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden,
bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen
grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht
gelassen worden sind, geboten sein.
Nach diesen Maßstäben ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein
Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung nicht ohne Weiteres zur
Unverwertbarkeit der dadurch erlangten Erkenntnisse führt, sondern es in
jedem Einzelfall der Abwägung der für und gegen die Verwertung
sprechenden Gesichtspunkte unter Gewichtung des staatlichen
Aufklärungsinteresses und der Schwere des Rechtsverstoßes bedarf. Auch
die danach vom Bundesgerichtshof im Ausgangsverfahren vorgenommene
Abwägung und die darauf beruhende Ablehnung eines
Beweisverwertungsverbotes begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken. Dabei ist entscheidend, dass es sich bei der
präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung nicht um eine nach dem
Grundgesetz generell unzulässige Maßnahme handelt und dass ihre
tatsächliche Durchführung den verfassungsrechtlichen Anforderungen zum
Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung entsprach.
2. Soweit personenbezogene Informationen aus der Wohnraumüberwachung
verwertet wurden, sind die Beschwerdeführer auch nicht in ihrem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Rechtsgrundlage für die
Verwertung personenbezogener Informationen in einem strafgerichtlichen
Urteil ist § 261 StPO, wonach das Gericht aufgrund freier Überzeugung
über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet. Diese Vorschrift ist
verfassungsgemäß. Insbesondere entspricht sie bei verfassungskonformer
Auslegung, die in Ausnahmefällen ein Verwertungsverbot anerkennt, dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Verwertung personenbezogener
Informationen in strafgerichtlichen Urteilen dient Zwecken, die
Verfassungsrang haben. Sie erfüllt die verfassungsrechtliche Pflicht des
Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten. Die
Informationsverwertung ist daher auch dann grundsätzlich
verhältnismäßig, wenn - wie im vorliegenden Ausgangsverfahren - die
Informationen ursprünglich zu einem anderen Zweck erhoben wurden und
somit der weiteren Verwendung im Strafverfahren eine Zweckänderung
vorangegangen ist. Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs,
dass nach § 261 StPO rechtswidrig erlangte personenbezogene
Informationen grundsätzlich verwertet werden können, ist
verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Vorschrift ist
insoweit ausreichend bestimmt, da die Informationsverwertung auf die
Sachverhaltsaufklärung und -feststellung im Rahmen der angeklagten
prozessualen Tat beschränkt ist.
II. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, dass sich die Beschwerdeführer
mit dem Abschluss von Lebensversicherungsverträgen wegen vollendeten
Betrugs und mit der Beantragung von Lebensversicherungsverträgen wegen
versuchten Betrugs strafbar gemacht haben, ist dagegen mit dem
Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren, weil es
an der von Verfassungs wegen erforderlichen wirtschaftlich
nachvollziehbaren Feststellung und Darlegung eines Vermögensschadens
fehlt.
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist zwar der rechtliche
Ausgangspunkt des Bundesgerichtshofs, dass bereits der Abschluss eines
Vertrags zu einem Vermögensschaden führen kann, wenn der vom
Vertragspartner erlangte Anspruch weniger wert ist als die übernommene
Verpflichtung (sog. Eingehungsbetrug). Es ist auch jedenfalls
grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz
vereinbar, bereits bei der konkreten Gefahr eines zukünftigen Verlusts
einen gegenwärtigen Vermögensschaden anzunehmen. Zur Verhinderung einer
Überdehnung des Betrugstatbestandes muss jedoch - von einfach gelagerten
und eindeutigen Fällen abgesehen - der Vermögensschaden der Höhe nach
beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den
Urteilsgründen dargelegt werden. Bestehen Unsicherheiten, so kann ein
Mindestschaden im Wege einer normativ-wirtschaftlich tragfähigen
Schätzung ermittelt werden.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird das Urteil des
Bundesgerichtshofs nicht gerecht, weil es nicht die Feststellung eines
konkreten Schadens in den Blick genommen hat, sondern für die
Feststellung eines Vermögensschadens (abstrakte) Risiken genügen lässt,
die jeder Vertragsschluss mit einem unredlichen Vertragspartner mit sich
bringt. Es fehlt an der ausreichenden Beschreibung und der Bezifferung
der Vermögensschäden, die durch den Abschluss der
Lebensversicherungsverträge verursacht wurden oder - in den
Versuchsfällen - verursacht worden wären. Zudem mangelt es an Erwägungen
dazu, inwiefern tragfähig geschätzt werden kann, wie hoch zum Zeitpunkt
der (beabsichtigten) Vertragsabschlüsse die Wahrscheinlichkeit war, dass
die Beschwerdeführer ihren Tatplan erfolgreich ausführen, die
Versicherungsleistungen also später tatsächlich an sie ausgezahlt werden
würden.
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