Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit einem heute
veröffentlichten Beschluss der Verfassungsbeschwerde eines im
Maßregelvollzug Untergebrachten stattgegeben. Mit diesem Beschluss hat
der Senat die Regelung des sächsischen Landesrechts, auf deren Grundlage
der Beschwerdeführer gegen seinen Willen mit Psychopharmaka behandelt
wird, für nichtig erklärt (§ 22 Abs. 1 Satz 1 des sächsischen Gesetzes
über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten -
SächsPsychKG). In zwei früheren Beschlüssen aus dem Jahr 2011, an die
die vorliegende Entscheidung anschließt, hatte der Senat bereits
Regelungen zur Zwangsbehandlung im rheinland-pfälzischen und im
baden-württembergischen Landesrecht für nichtig erklärt
(BVerfGE 128, 282 und BVerfGE 129, 269; Pressemitteilungen Nr. 28/2011
vom 15. April 2011 und Nr. 63/2011 vom 20. Oktober 2011).
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2002 wegen Schuldunfähigkeit vom
Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung freigesprochen und in einem
psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Nach Diagnose der Klinik
leidet er an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Der
Beschwerdeführer zeigte krankheitsbedingt schwerwiegende, auch seine
Umgebung massiv belastende Verhaltensauffälligkeiten. Er steht unter
rechtlicher Betreuung und wird, seitdem eine Betreuerin die Einwilligung
hierzu erteilt hatte, mit einem antipsychotischen Medikament behandelt.
Er selbst lehnt die Behandlung ab und nimmt sie nur hin, um eine
Durchsetzung der verordneten Medikation mit unmittelbarem Zwang zu
vermeiden.
2. Zunächst hatte der Beschwerdeführer erfolglos versucht, in einem
betreuungsgerichtlichen Verfahren feststellen zu lassen, dass eine
Rechtsgrundlage für eine Einwilligung der damaligen Betreuerin in die
zwangsweise Behandlung mit Neuroleptika nicht bestehe. Sodann hat er im
gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz beantragt, jegliche
medikamentöse Zwangsheilbehandlung einzustellen, zumindest bis eine -
näher spezifizierte - neue gesetzliche Regelung zur Zwangsbehandlung
geschaffen sei. Mit diesem Rechtsschutzanliegen blieb er sowohl vor der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts als auch vor dem
Oberlandesgericht ohne Erfolg.
Das Landgericht nahm an, bei einem krankheitsbedingt nicht
einwilligungsfähigen Patienten stehe, wenn der Betreuer wirksam
eingewilligt habe, der natürliche Wille des Untergebrachten einer
Behandlung nicht entgegen. Werde eine Behandlung als notwendig erkannt,
ärztlicherseits angeraten und vom Betreuer für erforderlich gehalten,
dann müsse die Möglichkeit bestehen, sie auch gegen den durch Krankheit
beeinflussten Willen des Patienten durchzusetzen. Die Rechtmäßigkeit der
Zustimmung des Betreuers könne nicht durch das Vollstreckungsgericht,
sondern nur durch das Betreuungsgericht überprüft werden, da § 22
SächsPsychKG allein an das Vorliegen einer Einwilligung anknüpfe.
Das Oberlandesgericht befand, anders als in den vom
Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen werde eine
Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers nicht nur durch das
grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst
gerechtfertigt, sondern auch durch die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG
ergebende Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die unantastbare Würde
des Menschen zu achten und zu schützen. Sollte die Zwangsbehandlung des
Beschwerdeführers unterlassen werden, sei mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass sich der Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers dramatisch verschlechtern werde. Der Beschwerdeführer
werde dann erneut die massiven Verhaltensauffälligkeiten zeigen,
deretwegen er in der Vergangenheit fortgesetzt im
Kriseninterventionsraum habe untergebracht werden müssen.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Beschlüsse dieser
Gerichte sowie gegen die zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen.
3. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
a) Die herangezogene Eingriffsgrundlage des § 22 Absatz 1 Satz 1
SächsPsychKG ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Daher
verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer bereits
deshalb in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs.
2 Satz 1 GG), weil es für die Zwangsbehandlung, die sie als rechtmäßig
bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt.
Das Erfordernis einer verfassungskonformen gesetzlichen Grundlage für
Grundrechtseingriffe besteht auch dann, wenn für den jeweils
betrachteten Eingriff gute oder sogar zwingende sachliche Gründe
sprechen mögen. Der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass in Grundrechte
nur auf der Grundlage eines Gesetzes eingegriffen werden darf (Vorbehalt
des Gesetzes), hat gerade den Sinn, die primäre Zuständigkeit für die
Bewertung von Grundrechtsbeschränkungen als wohlbegründet oder
ungerechtfertigt zu bestimmen. Er stellt sicher, dass die Grenzen
zwischen zulässigem und unzulässigem Grundrechtsgebrauch, zwischen
zulässiger und unzulässiger Grundrechtseinschränkung nicht fallweise
nach eigener Einschätzung von beliebigen Behörden oder Gerichten,
sondern primär - in der Form eines allgemeinen Gesetzes - durch den
Gesetzgeber gezogen werden.
b) § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG beschränkt die medizinische
Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels
nicht, wie verfassungsrechtlich geboten, auf den Fall seiner
krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit. Eine ausreichende
Beschränkung in diesem Sinne liegt nicht darin, dass die Einwilligung
des Betreuers ihrerseits die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit des
Betreuten voraussetzt. Denn die in Bezug genommenen Vorschriften des
Betreuungsrechts gestatten dem Betreuer nicht, in die Zwangsbehandlung
eines im Maßregelvollzug Untergebrachten einzuwilligen.
Es fehlt zudem an der Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den
Eingriff rechtfertigen sollen. Auch sonst ist dem Erfordernis, die
materiellen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung über die Anforderung
der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit hinaus gesetzlich zu
konkretisieren, nicht Genüge getan.
Auch mit Blick auf die Ausgestaltung des Verfahrens wird die gesetzliche
Regelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur teilweise gerecht.
Es fehlt an den notwendigen Regelungen dazu, dass der Zwangsbehandlung
eine hinreichend konkrete Ankündigung vorauszugehen hat und dass sich
das Krankenhaus vor der Zwangsbehandlung ernsthaft um eine auf Vertrauen
gegründete und freiwillige Zustimmung des Betroffenen bemühen muss.
Entgegen den verfassungsrechtlichen Anforderungen ist zudem keine
vorausgehende Überprüfung der Maßnahme in gesicherter Unabhängigkeit von
der Unterbringungseinrichtung vorgesehen. Dass § 22 Abs. 1 Satz 1
SächsPsychKG die Zwangsbehandlung an das Einverständnis des gesetzlichen
Vertreters – bei Erwachsenen also des Betreuers – bindet, genügt
insoweit nicht. Diese Vorschrift sieht keine Überprüfung der
Entscheidung der Klinik anhand der vorgegebenen gesetzlichen Maßstäbe
vor. Vielmehr setzt sie die Entscheidung des Betreuers an die Stelle
solcher Maßstäbe.
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