I.
Im Verfahren 1 BvR 990/13 hat die 3. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung heute teilweise stattgegeben. Die zugrundeliegende
Verfassungsbeschwerde betrifft das Akkreditierungsverfahren und die
Vergabe fester Sitzplätze für Medienvertreter im sogenannten NSU-Prozess
vor dem Oberlandesgericht München. Beschwerdeführer sind eine GmbH, die
eine in türkischer Sprache erscheinende Zeitung verlegt, sowie deren
stellvertretender Chefredakteur.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen
zugrunde:
1. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im
Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln,
wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender
Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend
geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit
des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer
Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich
von vornherein als insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
2. Die zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde ist vorliegend weder von
vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere
erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das sich aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG ableitende subjektive Recht der Beschwerdeführer auf
Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb, also auf
gleichberechtigte Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten zu
gerichtlichen Verfahren, verletzt sein könnte.
Allerdings ist die Entscheidung über die Zugänglichkeit zu
Gerichtsverhandlungen, die Reservierung einer bestimmten Anzahl von
Plätzen für Medienberichterstatter und auch die Verteilung knapper
Sitzplätze an dieselben grundsätzlich eine Frage, die sich unter dem
verfassungsrechtlichen Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte zunächst
nach einfachem Recht entscheidet und die der Prozessleitung des
Vorsitzenden in dem jeweiligen Gerichtsverfahren obliegt. Dabei hat
dieser einen weiten Entscheidungsspielraum. Das Bundesverfassungsgericht
überprüft dessen Anordnungen nur dahingehend, ob sie Verfassungsrecht
verletzen und insbesondere, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen
Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen.
Ob die Beschwerdeführer danach durch die angegriffenen Entscheidungen in
ihren Grundrechten verletzt sind, bedarf einer näheren Prüfung, die
schwierige Rechtsfragen aufwirft und daher im Eilrechtsschutzverfahren
nicht abschließend geklärt werden kann. Deshalb kann die Eilentscheidung
nur auf eine Folgenabwägung gestützt werden.
3. Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein
unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die
eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen
abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung
erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen
wäre.
a) Erginge vorliegend keine einstweilige Anordnung, hätte die
Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber Erfolg, so bestünde die
Gefahr, dass die Beschwerdeführer, ohne dass ihnen die gleichen Chancen
wie anderen Medienvertretern eingeräumt gewesen wären, wie auch andere
ausländische Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten
Straftaten von der Möglichkeit einer eigenen, aus dem Inbegriff der
Hauptverhandlung geschöpften Berichterstattung im sogenannten
NSU-Prozess ausgeschlossen blieben. Dies wiegt vorliegend umso schwerer,
als gerade türkische Medienvertreter ein besonderes Interesse an einer
vollumfänglich eigenständigen Berichterstattung über diesen Prozess
geltend machen können, da zahlreiche Opfer der angeklagten Taten
türkischer Herkunft sind.
b) Diese Nachteile überwiegen gegenüber den Nachteilen, die entstünden,
wenn dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im tenorierten
Umfange stattgegeben würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache
aber der Erfolg letztlich versagt wäre. Denn in diesem Falle würden zwar
den ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der
angeklagten Straftaten Sitzplätze in der Verhandlung eingeräumt, auf die
sie nach der bisherigen Sitzplatzvergabe keinen Anspruch mehr gehabt
hätten. Eine etwaige Ungleichbehandlung sonstiger Medien, denen ein
bereits zugeteilter Sitzplatz genommen oder bei Bildung eines
Zusatzkontingents kein Sitzplatz zugeteilt wird, wöge jedoch vor dem
Hintergrund des besonderen Interesses dieser Medien weniger schwer.
Rechte der Medien bestehen ohnedies nur im Rahmen einer
gleichheitsgerechten Auswahlentscheidung. Auch ist der Nachteil für die
allgemeine Öffentlichkeit, der dadurch entsteht, wenn mit einem
Zusatzkontingent einige wenige Plätze der Saalöffentlichkeit bestimmten
Medienvertretern zur Verfügung gestellt würden, verhältnismäßig
geringer, da die allgemein zu vergebenden Sitzplätze noch nicht
konkretisiert sind und entsprechend den hierfür geltenden Maßstäben nach
wie vor ein angemessener Teil der im Sitzungssaal verfügbaren Plätze dem
allgemeinen Publikum vorbehalten bleibt.
4. Im Eilrechtsschutzverfahren kann das Bundesverfassungsgericht
Maßnahmen treffen, die nicht als die Durchsetzung eines endgültig
verfassungsrechtlich gebotenen Ergebnisses zu verstehen sind, sondern
als vorläufige Anordnung zur Abwendung oder Milderung von drohenden
Nachteilen. Dies gilt insbesondere in einer Situation wie der
vorliegenden, in der von vornherein kein verfassungsrechtlich
gewährleistetes Recht auf Zugang zur Gerichtsverhandlung, sondern nur
die mögliche Verletzung einer Chance auf gleichberechtigte Teilhabe in
Frage steht, die Nachteile sich aber aus den Folgen einer möglichen
Verletzung der Chancengleichheit ergeben. Die Maßnahme kann sich hier
auf die Abmilderung dieser Folgen beziehen. Dies kommt vorliegend zwar
einer teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache gleich; in Ausnahmefällen
ist dies jedoch zulässig, wenn die Entscheidung in der Hauptsache zu
spät ergehen würde und in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht
mehr gewährt werden könnte.
Daher wird dem Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts
aufgegeben, nach einem von ihm im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis
festzulegenden Verfahren eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an
Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern
der angeklagten Straftaten zu vergeben. Möglich wäre ein
Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen, in dem
nach dem Prioritätsprinzip oder etwa nach dem Losverfahren Plätze
vergeben werden. Es bleibt dem Vorsitzenden aber auch unbenommen,
anstelle dessen die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt
nach anderen Regeln zu gestalten.
5. Der weitergehende Antrag der Beschwerdeführer auf vollständige
Aussetzung der Vollziehung der Platzvergabe und der
Sicherheitsverfügungen war hingegen abzulehnen, da sie einen
Antragsgrund für eine derart weitgehende Verfügung nicht hinreichend
dargelegt haben.
II.
Drei weitere Verfassungsbeschwerden, die ebenfalls mit Anträgen auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden waren, hat die 3. Kammer
des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hingegen - ohne
Begründung - nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 1002/13 macht geltend, er lese
türkische Zeitungen. Er rügt im Wesentlichen, sich angesichts der
Tatsache, dass bislang keine türkische Zeitung akkreditiert sei, nicht
aus erster Hand über den sogenannten NSU-Prozess informieren zu können.
Der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 1007/13 möchte an dem Prozess
als Zuhörer teilnehmen. Er sieht sich im Wesentlichen dadurch
benachteiligt, dass 50 Plätze für die Presse reserviert sind.
Der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 1010/13 ist Journalist und
Betreiber eines Mediums, für das er und eine Kollegin beim sogenannten
NSU-Prozess akkreditiert sind. Er rügt zum einen, dass ein
„Personalwechsel“, beispielsweise wegen Erkrankung, nicht zulässig sei
und zum anderen den Ablauf des Akkreditierungsverfahrens.
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