Die im Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 12. April 2011
enthaltene Stichtagsregelung ist verfassungsgemäß. Dies hat die 2.
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in einem heute
veröffentlichten Beschluss entschieden. Der Gesetzgeber hat entschieden,
die vollständige erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1. Juli 1949
geborenen nichtehelichen Kinder auf Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 zu
beschränken. Hiermit hat er seinen Spielraum bei der Gestaltung von
Stichtags- und anderen Übergangsvorschriften nicht überschritten.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen
zugrunde:
1. Die Beschwerdeführer sind jeweils vor dem 1. Juli 1949 geborene
nichteheliche Kinder. Sie machen Rechte aus Erbfällen vor dem 29. Mai
2009 geltend.
2. Nach der ursprünglichen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs stand
nichtehelichen Kindern ein gesetzliches Erbrecht oder ein
Pflichtteilsrecht nur gegenüber ihrer Mutter und den mütterlichen
Verwandten zu. Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen nichtehelichen
Kindern und ihrem Vater bestand nicht. Die letztgenannte Regelung hat
der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Juli 1970 aufgehoben (Gesetz über die
rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder vom 19. August 1969 - NEhelG,
BGBl I S. 1243). Nach der Übergangsregelung des Art. 12 Nr. I § 10
NEhelG galt jedoch für die vor dem 1. Juli 1949 geborenen Kinder das
alte Recht fort. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese
Übergangsregelung mehrfach zu überprüfen und hielt sie für noch
verfassungsgemäß. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah
hierin jedoch eine Verletzung von Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 der
Europäischen Menschenrechtskonvention (Urteil vom 28. Mai 2009 - 3545/04
-, Brauer/Deutschland).
Der Gesetzgeber nahm dieses Urteil zum Anlass, die vorgenannte
Übergangsregelung anzupassen (Zweites Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom
12. April 2011 - ZwErbGleichG, BGBl I S. 615). Für Erbfälle vor dem 29.
Mai 2009, bei denen der Nachlass nicht an den Staat gefallen war, blieb
es jedoch beim Stichtag 1. Juli 1949.
3. Im Verfahren 1 BvR 2436/11 begehrt der 1943 geborene Beschwerdeführer
die Erteilung eines Alleinerbscheins. Er ist das einzige Kind des 2007
verstorbenen Erblassers, der die Vaterschaft im Jahr 1944 anerkannt hat.
Sein Antrag blieb im Ausgangsverfahren in allen Instanzen erfolglos.
Im Verfahren 1 BvR 3155/11 macht der 1940 geborene Beschwerdeführer
Pflichtteilsansprüche geltend. Der 2006 verstorbene Erblasser wurde
zunächst 1941 und sodann nochmals 1949 zur Zahlung von Kindesunterhalt
für den Beschwerdeführer verurteilt. Testamentarische Alleinerbin ist
die Tochter des Erblassers aus einer späteren Ehe. Die gegen sie
gerichtete Klage blieb im Ausgangsverfahren in allen Instanzen
erfolglos.
4. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen,
weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Sie sind nicht
begründet, da die Übergangsregelung des Zweiten
Erbrechtsgleichstellungsgesetzes verfassungsgemäß ist und ihre Anwendung
durch die ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen von
Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.
a) Der Prüfungsmaßstab ist in erster Linie aus Art. 6 Abs. 5 GG zu
entnehmen. Dieses Grundrecht enthält eine Wertentscheidung, die der
Gesetzgeber auch im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu beachten
hat. Diese Wertentscheidung kann auch dann verfehlt werden, wenn die
gesetzliche Regelung einzelne Gruppen nichtehelicher Kinder im
Verhältnis zu anderen Gruppen schlechter stellt. Eine tatbestandliche
Differenzierung innerhalb der Gruppe der nichtehelichen Kinder findet
sich in der Neuregelung nicht mehr. Zu prüfen bleibt indes, ob die
Abgrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs des alten und des neuen
Rechts mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist.
b) Mit dem Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz wird primär nicht mehr
nach einem persönlichen Merkmal - dem Geburtsdatum -, sondern nach einem
zufälligen, von außen kommenden Ereignis - dem Datum des Erbfalls -
differenziert, so dass die Ungleichbehandlung nunmehr von geringerer
Intensität ist.
c) Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags- und anderen
Übergangsvorschriften muss sich auf die Frage beschränken, ob der
Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt
hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden
Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im
Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung
durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich
erscheint.
Im Übrigen entspricht es der Rechtsprechung des
Bundesverfassungs¬gerichts, dass der Gesetzgeber einen mit dem
Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen
muss, wenn die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt
war. Dies muss erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, in
dem die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Rechtslage mehrfach durch
das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt wurde.
d) Den hiernach eröffneten Spielraum hat der Gesetzgeber nicht
überschritten. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, hat er im
Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die für und gegen die getroffene
Regelung sprechenden sachlichen Argumente sorgfältig abgewogen.
Insbesondere hat der Gesetzgeber grundsätzlich berücksichtigt, dass dem
Schutz des Vertrauens der Väter nichtehelicher Kinder und deren
erbberechtigter Familienangehörigen nach der Entscheidung des
Gerichtshofs vom 28. Mai 2009 nicht mehr der gleiche Stellenwert
zukommen konnte wie bisher angenommen. Allerdings müsse dann anderes
gelten, wenn der Erbfall bereits eingetreten und damit das Vermögen des
Erblassers bereits im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die nach
geltendem Recht berufenen Erben übergegangen sei, da eine Entziehung
dieser Rechtsstellung eine echte Rückwirkung bedeutet hätte, die
verfassungsrechtlich nur in engen Ausnahmefällen möglich sei.
e) Der Gesetzgeber war auch nicht durch die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Mai 2009 gehalten,
eine weitergehende Rückwirkung vorzusehen. Der Gerichtshof hat bereits
im Jahr 1979 klargestellt, dass Handlungen oder Rechtslagen, die vor der
Verkündung eines Urteils lägen, nicht in Frage gestellt werden müssten;
dies folge aus dem Prinzip der Rechtssicherheit.
f) Die Auslegung und Anwendung der Übergangsregelung durch die
ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen ist von Verfassungs
wegen nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte
aus verfassungsrechtlicher Sicht gehalten gewesen wären, die Neuregelung
über ihren Wortlaut hinaus rückwirkend auf die Fälle der
Beschwerdeführer anzuwenden. Ob eine solche teleologische Erweiterung in
bestimmten Fällen, die in tatsächlicher Hinsicht dem durch den
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 28. Mai 2009
entschiedenen vergleichbar waren, in Betracht kommt, kann offen bleiben.
Die Ausgangsverfahren bieten zur abschließenden Beantwortung dieser
Frage keinen Anlass.
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