Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in
einem heute veröffentlichten Beschluss die Grundsätze bekräftigt, die in
zivilgerichtlichen Streitigkeiten über die Anbringung von
Parabolantennen durch Mieter zu beachten sind. Die Zivilgerichte haben
eine fallbezogene Abwägung vorzunehmen, in die die Eigentümerinteressen
des Vermieters an der - auch optisch - ungeschmälerten Erhaltung des
Wohnhauses und die Informationsinteressen des Mieters an der Nutzung
allgemein zugänglicher Informationsquellen einzustellen sind. Zu
berücksichtigen ist auch das Interesse ausländischer Mieter am Empfang
von Rundfunkprogrammen aus ihrer Heimat, einschließlich der besonderen
Situation sprachlicher und kultureller Minderheiten.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen
zugrunde:
1. Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige turkmenischer
Abstammung. Sie fühlen sich einer in der Türkei lebenden turkmenischen
Minderheit zugehörig, die eigenen Traditionen und der turkmenischen
Sprache verbunden geblieben ist.
An der Gebäudefassade ihrer Mietwohnung hatten die Beschwerdeführer -
ohne die nach dem Mietvertrag erforderliche Zustimmung der Vermieterin -
eine Parabolantenne angebracht. Mit dieser wollten sie ein nur über
Satellit verfügbares Programm über die turkmenische Region sowie die
dort lebenden Menschen empfangen, das ganztägig in türkischer und
turkmenischer Sprache ausgestrahlt wird.
Die Vermieterin nahm die Beschwerdeführer auf Beseitigung der
Parabolantenne bzw. Unterlassung ihrer Anbringung in Anspruch. Sie
obsiegte hiermit sowohl vor dem Amtsgericht als auch in der
Berufungsinstanz vor dem Landgericht. Gegen diese beiden Entscheidungen
richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführer rügen die
Verletzung ihrer Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2.
Halbsatz GG.
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die
angegriffenen Entscheidungen werden aufgehoben.
a) Die Installation einer Parabolantenne ist vom Schutzbereich des
Grundrechts auf Informationsfreiheit der Beschwerdeführer umfasst.
Dieses Grundrecht muss auch in der vorliegenden zivilgerichtlichen
Streitigkeit beachtet werden. Die Informationsfreiheit findet ihre
Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die
miet- und eigentumsrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs
gehören, die die Rechte und Pflichten von Mietern und Vermietern
festlegen. Die Verfassung verlangt aber, dass bei deren Auslegung die
betroffenen Grundrechte berücksichtigt werden. In der Regel haben die
Gerichte hierzu eine fallbezogene Abwägung vorzunehmen, bei der die
Eigentümerinteressen des Vermieters an der - auch optisch
-ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses und die Informationsinteressen
des Mieters an der Nutzung zugänglicher Informationsquellen zu
berücksichtigen sind.
b) In der Regel entspricht es diesen Anforderungen, wenn die
Zivilgerichte den Vermieter dann nicht für verpflichtet halten, eine
Parabolantenne des Mieters zu dulden, wenn er dem Mieter einen
Kabelanschluss bereitstellt. Dem besonderen Informationsinteresse
dauerhaft in Deutschland lebender ausländischer Staatsangehöriger trägt
dieser Grundsatz jedoch nicht in allen Fällen ausreichend Rechnung. Sie
sind daran interessiert, die Programme ihres Heimatlandes zu empfangen,
um sich über das dortige Geschehen unterrichten und die kulturelle und
sprachliche Verbindung zu ihrem Heimatland aufrechterhalten zu können.
Ist eine angemessene Zahl von Programmen aus dem jeweiligen Heimatland
nicht über den vom Vermieter bereitgestellten Kabelanschluss, sondern
nur über eine Parabolantenne zu empfangen, so ist das Interesse der
ausländischen Mieter am Empfang von Rundfunkprogrammen ihres
Heimatlandes bei der Abwägung mit den Eigentümerinteressen des
Vermieters zu berücksichtigen. Zulässige Abwägungsgesichtspunkte sind
hierbei, in welchem Umfang der Mieter Programme seines Heimatlandes
bereits ohne eigene Parabolantenne empfangen kann und ob er über die
bereitgestellte Empfangsanlage gegen angemessenes Entgelt ein
zusätzliches Programmangebot nutzen kann.
c) Nach diesen Maßstäben verletzen das Urteil des Amtsgerichts und der
Beschluss des Landgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz GG.
aa) Beide Gerichte haben zwar erkannt, dass es zur Informationsfreiheit
der Beschwerdeführer gehört, Zugang zu Rundfunkprogrammen in ihrer
Sprache zu haben, und dass dies bei der vorzunehmenden Abwägung zu
berücksichtigen ist. Sie haben aber das spezifische
Informationsinteresse der Beschwerdeführer nicht ausreichend
berücksichtigt und damit die Bedeutung des Grundrechts der
Informationsfreiheit verkannt.
bb) Das Amtsgericht hat das Informationsinteresse der Beschwerdeführer
schon deshalb nicht ausreichend berücksichtigt, weil es seiner Abwägung
- ohne sachhaltige Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der
Beschwerdeführer - die Annahme zugrunde gelegt hat, Turkmenisch sei
lediglich ein türkischer Dialekt, nicht aber eine eigene Sprache. Das
Landgericht hat zwar zumindest auch hilfsweise die Annahme zugrunde
gelegt, Turkmenisch sei eine eigene Sprache. Es hat dann aber mit einem
schlichten feststellenden Satz das Ergebnis der amtsgerichtlichen
Interessenabwägung bestätigt, ohne dies irgendwie weiter zu begründen.
Damit ist nicht nachvollziehbar, ob und wie das Landgericht das
spezifische Interesse der Beschwerdeführer, in turkmenischer Sprache
Informationen über die turkmenische Minderheit in der Türkei zu
erhalten, gewürdigt und gewichtet hat.
d) Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht
zurückverwiesen, um die erforderliche fallbezogene Abwägung nachzuholen.
In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, inwieweit die
Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass ihr Lebensalltag tatsächlich vom
Gebrauch der turkmenischen Sprache und turkmenischen Traditionen geprägt
ist, obwohl sie nie in den turkmenischsprachigen Herkunftsgebieten ihrer
Vorfahren gewohnt haben, und ob das von ihnen geltend gemachte besondere
Informationsinteresse auch mittels der türkischen Programme gedeckt
werden kann, die über die vorhandene zentrale Satellitenempfangsanlage
verfügbar sind.
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