Die in Bremen zwischen dem Wintersemester 2005/2006 und dem
Sommersemester 2010 geltende Studiengebührenregelung ist
verfassungswidrig. Dies hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss
entschieden. Zwar ergibt sich aus der Verfassung kein grundsätzliches
Verbot allgemeiner Studiengebühren, solange sie nicht prohibitiv wirken
und sozialverträglich ausgestaltet sind. Jedoch verstößt es gegen das
Teilhaberecht auf freien und gleichen Hochschulzugang, wenn allein
auswärtige Studierende mit solchen Gebühren belastet werden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen
zugrunde:
1. In Bremen galt zwischen dem Wintersemester 2005/2006 und dem
Sommersemester 2010 eine Studiengebührenregelung, die Studierenden ein
Studienguthaben von 14 Semestern zubilligte und sie danach zu Gebühren
heranzog. Dies betraf jedoch nur „Landeskinder“ mit Wohnung in Bremen.
Demgegenüber erhielten Auswärtige ein Studienguthaben von lediglich zwei
Semestern, zahlten also schon ab dem dritten Semester Gebühren.
2. Die Klägerinnen und der Kläger des Ausgangsverfahrens wehren sich
dagegen, als auswärtige Studierende ab dem dritten Semester allgemeine
Studiengebühren zahlen zu müssen. Für das Wintersemester 2006/2007
wurden sie zur Zahlung einer Studiengebühr in Höhe von 500 €
aufgefordert, weil sie anders als „Landeskinder“ bereits nach einem
Studium von zwei Semestern über kein Studienguthaben mehr verfügten. Das
Verwaltungsgericht Bremen hat das Verfahren ausgesetzt und dem
Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen §§ 6 Satz 1 in Verbindung mit
3 Abs. 1 und 2 Abs. 1 des Bremischen Studienkontengesetzes zur
verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt.
3. Die Erhebung von allgemeinen Studiengebühren ist im Ausgangspunkt mit
dem Grundgesetz vereinbar, solange die Gebühren nicht prohibitiv wirken
und sozial verträglich ausgestaltet sind.
a) Aus der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20
Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) ergibt sich für diejenigen, die dafür
die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, im Rahmen der vom
Staat geschaffenen Ausbildungseinrichtungen ein Recht auf freien und
gleichen Zugang zum Hochschulstudium.
Aus diesem Teilhaberecht resultiert zwar kein Anspruch auf
Kostenfreiheit des Hochschulstudiums. Jedoch dürfen Gebühren keine
unüberwindliche soziale Barriere vor dem Hochschulzugang errichten. Das
bedeutet zwar nicht, dass alle Erschwernisse, die mit der Erhebung von
Studienabgaben verbunden sind, vollständig durch soziale
Begleitmaßnahmen kompensiert werden müssen. Der Gesetzgeber darf diese
Umstände jedoch nicht völlig unberücksichtigt lassen, soweit sie zu
ungleichen Ausbildungschancen führen.
Bei der Erhebung von Studiengebühren sind die Belange
einkommensschwacher Bevölkerungskreise daher angemessen zu
berücksichtigen. Gleiches gilt für die besonderen Belastungen von
Menschen mit Behinderungen sowie von Studierenden mit Kindern oder
Pflegeverantwortung in der Familie. Wie der Gesetzgeber dem
Verfassungsgebot zur sozialen Ausgestaltung allgemeiner Studiengebühren
im Einzelnen Rechnung trägt, ist in weitem Umfang seiner freien
Gestaltung überlassen.
b) Danach sind Studiengebühren von 500 € im Semester nicht schon
grundsätzlich verfassungsrechtlich ausgeschlossen.
aa) Allerdings ist eine Gebühr von 500 € im Semester aus Sicht der
Studierenden, deren Gesamtunterhaltsbedarf je nach Quelle mit zwischen
ca. 530 € und 812 € im Monat angegeben wird, als deutlich spürbar
einzustufen. Daraus folgt jedoch nicht ohne weiteres, dass sie insgesamt
prohibitiv wirkt. So ist derzeit auch eine „Gebührenflucht“ aus Ländern
mit in Länder ohne Studiengebühren nicht erkennbar.
bb) Doch bedürfen allgemeine Studiengebühren flankierender Maßnahmen,
die ihre soziale Verträglichkeit und damit den Anspruch auf einen
möglichst chancengleichen Zugang zum Studium gewährleisten. Fehlen
diese, verstärken sich bestehende Nachteile aufgrund unzureichender
finanzieller Mittel und in Familien ohne akademischen Bildungsabschluss.
Die Bereitstellung von angemessen ausgestalteten Studiendarlehen ist
eines der zentralen Mittel, um die soziale Verträglichkeit von
Studiengebühren abzusichern. Daneben kommen weitere Mittel wie
Ausnahme-, Ermäßigungs- und Erlasstatbestände der Gebührenregelung in
Betracht. Ob die vorgelegte Bremer Regelung diesen Anforderungen in
jeder Hinsicht entsprach, ist nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens.
4. Die zur Prüfung gestellten Vorschriften, die nur Auswärtigen ab dem
dritten Semester eine Gebührenpflicht auferlegten, verstoßen gegen das
Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG
auf freien und gleichen Hochschulzugang in einem bundesweit
zusammenhängenden System.
a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem
Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich
zu behandeln. Aus dem Teilhaberecht des Art. 12 Abs. 1 GG für den
besonderen Sachbereich des Hochschulzugangs folgt bei einer
Ungleichbehandlung ein strengerer Rechtfertigungsmaßstab.
b) Die vorgelegten Regelungen begründen eine Ungleichbehandlung gleicher
Sachverhalte, für deren Rechtfertigung keine hinreichend tragfähigen
Gründe erkennbar sind.
aa) Unterschiedliche Regelungen in verschiedenen Ländern sind
verfassungsrechtlich im Bundesstaat nicht nur möglich, sondern gewollt.
Der Gleichheitssatz ist daher nicht anwendbar, wenn es um eine
Ungleichbehandlung durch Regelungen verschiedener Rechtsetzer geht. Er
ist hingegen anwendbar, soweit es wie hier um die Ungleichbehandlung von
Landeskindern und anderen Personen in einer Landesregelung geht.
bb) Zur Rechtfertigung kann nicht allein auf den Wohnsitz und die
hieraus folgende Zugehörigkeit zum Land Bremen als solcher verwiesen
werden. Denn landesrechtliche Regelungen im Bereich des Hochschulwesens
haben eine spezifische, gesamtstaatliche Dimension und berühren das in
allen Ländern gleichermaßen anerkannte Teilhaberecht auf freien und
gleichen Hochschulzugang. Dies verlangt besondere Rücksichtnahme der
Länder untereinander. Trotz der Länderzuständigkeit ist das
Hochschulwesen ein bundesweit zusammenhängendes System, in dem nicht
alle Studiengänge überall angeboten werden und eine Nutzung der
Ausbildungskapazitäten über die Ländergrenzen hinweg erforderlich ist.
In einer solchen Situation unterliegen einseitige Begünstigungen der
Angehörigen eines Landes gesteigerten Anforderungen an ihre
Rechtfertigung.
cc) Tragfähige Sachgründe, die mit der Hochschulausbildung in
Zusammenhang stehen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Die in der
bremischen Regelung vorgenommene Gebührendifferenzierung ist nicht durch
eine unterschiedliche Nutzung des Studienangebots gerechtfertigt. Auch
kann sich der Gesetzgeber zur Rechtfertigung nicht darauf berufen, mit
der Regelung zur Wohnsitznahme in Bremen motivieren zu wollen, um so
erhöhte Mittelzuweisungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zu
erlangen. Es fehlt am erforderlichen Sachzusammenhang zwischen den
Zuweisungen im Rahmen des Finanzausgleichs, die in den allgemeinen
Landeshaushalt fließen und der Finanzierung der Hochschulen. Der Versuch
einer solchen Zuordnung würde zudem den berechtigten Einwand
hervorrufen, das Land Bremen legitimiere letztlich aus einer Zuwendung
von außen eine Studiengebühr für auswärtige Studierende.
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