Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der
Verfassungsbeschwerde des Gustl Ferdinand Mollath gegen Beschlüsse des
Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg stattgegeben.
Die in den Beschlüssen des Jahres 2011 aufgeführten Gründe genügen
nicht, um die Fortdauer der Unterbringung zu rechtfertigen. Die
Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf
Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) in Verbindung mit dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Sache wird zur
erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen
zugrunde:
1. Mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. August 2006 wurde
der Beschwerdeführer von den Vorwürfen der gefährlichen
Körperverletzung, der Freiheitsberaubung sowie der Sachbeschädigung
freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet. Gemäß der Urteilsbegründung sah das Landgericht
den objektiven Tatbestand der angeklagten Straftatbestände als erfüllt
an. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer
zu den Tatzeitpunkten aufgrund einer paranoiden Wahnsymptomatik
schuldunfähig gewesen sei. Die Unterbringung des Beschwerdeführers sei
aufgrund der Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten
geboten.
2. Mit Beschluss vom 9. Juni 2011 ordnete das Landgericht Bayreuth die
Fortdauer der Unterbringung an, da nicht zu erwarten sei, dass der
Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen
Taten mehr begehen werde. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde
verwarf das Oberlandesgericht Bamberg mit Beschluss vom 26. August 2011
als unbegründet.
3. Trotz zwischenzeitlicher Entlassung aus dem Maßregelvollzug hat der
Beschwerdeführer ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an der
nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung der angegriffenen
Entscheidungen, denn diese waren Grundlage eines tiefgreifenden
Eingriffs in sein Grundrecht auf Freiheit der Person.
a) Entscheidungen über den Entzug der persönlichen Freiheit müssen auf
zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in
tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben. Insbesondere darf der
Strafvollstreckungsrichter die Prognoseentscheidung nicht dem
Sachverständigen überlassen, sondern hat diese selbst zu treffen. In
einer Gesamtwürdigung sind die von dem Täter ausgehenden Gefahren ins
Verhältnis zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs zu
setzen. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr
hinreichend zu konkretisieren. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des
Untergebrachten und die von ihm bislang begangenen Taten. Abzuheben ist
aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände,
die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit gebietet es zudem, die Unterbringung nur solange zu
vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordert und
weniger belastende Maßnahmen nicht genügen.
Da es sich um eine wertende Entscheidung unter Prognosegesichtspunkten
handelt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen
Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung
überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten
Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen. Bei langdauernden
Unterbringungen wirkt sich das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs
auch auf die Anforderungen aus, die an die Begründung einer Entscheidung
zu stellen sind. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des
Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem immer stärker werdenden
Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem
lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung
eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen
Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten
einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird
es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle
nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen
Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist vor
allem die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger
Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus.
b) Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben sind die angegriffenen
Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 sowie des
Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 nicht zu vereinbaren. Die
in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung
der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen.
aa) Es fehlt bereits an einer ausreichenden Konkretisierung der vom
Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr künftiger rechtswidriger Taten. Das
Landgericht setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass die
Darlegungen des Sachverständigen zur Wahrscheinlichkeit künftiger
rechtswidriger Taten im schriftlichen Gutachten vom 12. Februar 2011 und
in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 voneinander abweichen. Vor
diesem Hintergrund durfte das Landgericht sich nicht auf eine bloße
Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen
Anhörung beschränken. Es hätte vielmehr unter Berücksichtigung weiterer
Hinweise des Sachverständigen und sonstiger Umstände des vorliegenden
Falles diese Einschätzungen gegeneinander abwägen und eine eigenständige
Prognoseentscheidung treffen müssen. Im Rahmen einer solchen
eigenständigen Bewertung hätte es darlegen müssen, welche Straftaten
konkret von dem Beschwerdeführer zu erwarten sind, warum der Grad der
Wahrscheinlichkeit derartiger Straftaten sehr hoch ist und auf welche
Anknüpfungs- und Befundtatsachen sich diese Prognose gründet.
Nichts anderes gilt im Ergebnis für den Beschluss des Oberlandesgerichts
vom 26. August 2011. Dieser nimmt im Wesentlichen auf das schriftliche
Sachverständigengutachten Bezug, aus dem sich gerade keine sehr hohe
Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten ergibt. Soweit das
Oberlandesgericht ergänzend auf die Stellungnahme des
Bezirkskrankenhauses Bayreuth abstellt, rechtfertigt dies keine andere
Einschätzung.
bb) Darüber hinaus finden den Beschwerdeführer entlastende Umstände im
Rahmen der notwendigen Prognoseentscheidung keine erkennbare
Berücksichtigung. Zudem wird in den angegriffenen Beschlüssen nicht
ausreichend dargelegt, dass die von dem Beschwerdeführer ausgehende
Gefahr das - angesichts der Dauer der Unterbringung - zunehmende Gewicht
seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag. Schließlich fehlt auch
eine Befassung mit der Frage, ob dem Sicherungsinteresse der
Allgemeinheit nicht durch den Beschwerdeführer weniger belastende
Maßnahmen Rechnung hätte getragen werden können.
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