Mit einem heute veröffentlichten Beschluss hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts zwei Verfassungsbeschwerden gegen
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Angemessenheit von
Übersetzerhonoraren im Verlagswesen zurückgewiesen. Weder die
angegriffenen Entscheidungen noch die maßgeblichen Vorschriften des
Urheberrechts verstoßen demnach gegen die Verfassung. Um sozialen oder
wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken, darf der
Gesetzgeber die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt
für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, durch
zwingendes Gesetzesrecht begrenzen. Eine urheberrechtliche Regelung, die
einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit vertraglich
vereinbarter Vergütungen für die Werknutzung gewährt, ist daher mit dem
Grundgesetz vereinbar.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
1. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen eine im Jahr 2002
novellierte Regelung im Urheberrechtsgesetz sowie gegen zwei darauf
beruhende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Angemessenheit von
Übersetzerhonoraren im Verlagswesen. Die Beschwerdeführerin ist ein
Hardcover-Verlag.
2. § 32 Urheberrechtsgesetz (UrhG) gibt Urhebern die Möglichkeit,
Verträge über die Einräumung von Nutzungsrechten und die Erlaubnis zur
Werknutzung gerichtlich auf die Angemessenheit der vereinbarten
Vergütung überprüfen zu lassen. Soweit die vereinbarte Vergütung nicht
angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die
Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, so dass dem
Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird. Diese Regelung trat zum
1. Juli 2002 in Kraft. § 132 Abs. 3 Satz 3 UrhG bestimmte ergänzend,
dass die Regelung auch auf Verträge anwendbar ist, die seit dem 1. Juni
2001 und bis zum 30. Juni 2002 geschlossen worden sind, sofern von dem
eingeräumten Recht oder der Erlaubnis nach dem 30. Juni 2002 Gebrauch
gemacht wird.
Mit der Neuregelung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die
Rechtsstellung der Urheber als regelmäßig schwächerer Partei gegenüber
den Verwertungsunternehmen zu stärken. Das Urheberrecht beruhe auf dem
Grundgedanken, Urheber angemessen an dem wirtschaftlichen Nutzen ihrer
Arbeit und ihrer Werke zu beteiligen. Dieser Gedanke sei zum Teil
umgesetzt, nicht aber dort, wo freiberuflichen Urhebern, etwa
literarischen Übersetzern, strukturell überlegene Verwerter gegenüber
stünden.
3. Der Kläger des Ausgangsverfahrens 1 BvR 1843/11 übersetzte aufgrund
eines Vertrags mit der Beschwerdeführerin das Sachbuch „Destructive
Emotions - Dialog mit dem Dalai Lama“. Die Vereinbarung umfasste ein
Seitenhonorar von 19 € pro Normseite, ein prozentuales Absatzhonorar bei
Verkauf von mehr als 15.000 Exemplaren und eine Beteiligung an
Lizenzerlösen aus der Verwertung von Nebenrechten. Die
Beschwerdeführerin bezahlte rund 13.500 € an den Kläger. Dessen Klage
auf Vertragsanpassung blieb vor dem Landgericht und dem
Oberlandesgericht erfolglos. Der Bundesgerichtshof hob diese Urteile
teilweise auf und verurteilte die Beschwerdeführerin dazu, in eine
Anhebung der Absatz- und Nebenrechtsbeteiligung einzuwilligen, Auskunft
zu erteilen und 6.841,22 € nachzuzahlen (Urteil vom 20. Januar 2011 - I
ZR 19/09 -).
4. Der Kläger im Ausgangsverfahren 1 BvR 1842/11 übersetzte aufgrund
eines Vertrags mit der Beschwerdeführerin vom Februar/März 2002 den
Roman „Drop City“ von T. C. Boyle. Vereinbart wurden ein Seitenhonorar
von 18,50 € pro Normseite, ein prozentuales Absatzhonorar bei Verkauf
von mehr als 20.000 Exemplaren und eine Beteiligung an Lizenzerlösen.
Der Kläger erhielt rund 18.000 Euro von der Beschwerdeführerin. Auch in
diesem Verfahren hob der Bundesgerichtshof klagabweisende Urteile des
Landgerichts und des Oberlandesgerichts teilweise auf (Urteil vom 20.
Januar 2011 - I ZR 20/09 -). Er verurteilte die Beschwerdeführerin, in
eine Anhebung der Absatz- und Nebenrechtsbeteiligung einzuwilligen,
Auskunft zu erteilen und 13.073,04 € nachzuzahlen.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
1. § 32 UrhG ist mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbar.
a) Dieses Grundrecht umschließt auch die Freiheit, das Entgelt für
berufliche Leistungen verbindlich auszuhandeln. Der Gesetzgeber darf
diese Freiheit durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen
oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken. Dabei hat er
die kollidierenden Grundrechtspositionen zu erfassen und - unter
Berücksichtigung des sozialstaatlichen Auftrags - nach dem Grundsatz der
praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle
Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.
Für die Herstellung eines solchen Ausgleichs verfügt der Gesetzgeber
über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Die
Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und
sozialen Rahmenbedingungen liegt in seiner politischen Verantwortung,
ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen
seiner Regelung.
b) Der Gesetzgeber ist in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen,
dass die angemessene Beteiligung der Urheber am wirtschaftlichen Nutzen
ihrer Arbeit und Werke nur teilweise gewährleistet ist. § 32 UrhG soll
insbesondere Urhebern mit schwacher Verhandlungsposition und niedrigen
Einkommen helfen, ihr Urheberrecht auch wirtschaftlich zu realisieren.
Die Regelung der gerichtlichen Angemessenheitsprüfung von
Urhebervergütungen bringt die Grundrechte der Betroffenen zu einem
angemessenen Ausgleich. Grundgedanke des Urheberrechts ist die
angemessene Beteiligung der Urheber am wirtschaftlichen Nutzen ihrer
Werke, was im Beteiligungsgrundsatz des § 11 Satz 2 UrhG gesetzlich
geregelt ist. Der Anspruch des Urhebers auf eine angemessene Vergütung
ist auch Gegenstand völker- und europarechtlicher Gewährleistungen.
Allerdings wird die Berufsausübungsfreiheit der Verwerter durch die
Regelung nicht unerheblich beeinträchtigt. Die Freiheit, den Inhalt der
Vergütungsvereinbarungen mit Urhebern aushandeln zu können, ist ein
wesentlicher Bestandteil ihrer Berufsausübung. Zugleich gehört die
Vereinbarung des geschuldeten Preises für eine Leistung zum Kern der
Privatautonomie und wird in der Regel dem Marktmechanismus überlassen.
Zudem wird die Funktion eines Vertrags, für beide Seiten Rechts- und
Planungssicherheit zu schaffen, durch § 32 UrhG geschmälert.
Jedoch steht die Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit der
Verwerter bei einer Gesamtbetrachtung nicht außer Verhältnis zu dem
Schutz des Interesses der Urheber an einer angemessenen Beteiligung am
wirtschaftlichen Nutzen ihrer Werke. § 32 UrhG nimmt den Verwertern
nicht jeglichen Verhandlungsspielraum hinsichtlich Höhe und Modalitäten
der Urhebervergütung, sondern schließt lediglich die Vereinbarung einer
unangemessen niedrigen Vergütung aus. Die Vorschrift fordert insofern
eine umfassende Berücksichtigung aller relevanten Umstände. Ein
verfahrensrechtlicher Schutz gegen unberechtigte Änderungsverlangen wird
dadurch bewirkt, dass es dem Urheber obliegt, die Voraussetzungen des
Anspruchs auf eine Korrektur des Vertrags darzulegen und zu beweisen.
Den Interessen der Verwerter trägt auch Rechnung, dass sie mit den
Urhebern gemeinsame Vergütungsregeln im Sinne von § 36 UrhG aufstellen
können, deren Angemessenheit in gerichtlichen Verfahren unwiderleglich
vermutet wird. Der Gesetzgeber durfte typisierend auf das von ihm
angenommene strukturelle Ungleichgewicht zwischen Urhebern und
Verwertern reagieren und war nicht gehalten, auch eine zugunsten der
Verwerter anwendbare Preiskontrolle vorzusehen.
2. Soweit die Übergangsregelung des § 132 Abs. 3 Satz 3 UrhG anordnet,
dass § 32 UrhG auch auf Verträge anwendbar ist, die vor Inkrafttreten
der Neuregelung geschlossen wurden, verstößt dies nicht gegen das
rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 GG. Durch die
Rückwirkung wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Werke, bei denen
nach bereits geschlossenen Verträgen keine zusätzliche Vergütung zu
zahlen wäre, mit jenen in Konkurrenz treten, deren Nutzungsrechte nach
der Neuregelung übertragen wurden. Dies genügt zur Rechtfertigung der
Rückwirkung der Neuregelung über den kurzen Zeitraum von 13 Monaten.
3. Die Bestimmung der angemessenen Vergütung durch den Bundesgerichtshof
verletzt die Beschwerdeführerin nicht durch objektiv willkürliche
Rechtsanwendung in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das gilt
insbesondere auch für die Anknüpfung der Beteiligung des Übersetzers an
den Erlösen aus der Nebenrechtsvergabe an den Anteil des ausländischen
Autors („Autorenanteil“). Es wird Aufgabe der Fachgerichte sein, den
Umfang des Autorenanteils unter Berücksichtigung der
Anhörungsrügebeschlüsse des Bundesgerichtshofs insbesondere hinsichtlich
der Anteile von einbezogenen Agenten und des ausländischen Verlags näher
zu bestimmen.
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