Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den
Antrag abgelehnt, der SPD im Wege einer einstweiligen Anordnung zu
untersagen, eine Abstimmung ihrer Mitglieder über das Zustandekommen
einer Großen Koalition durchzuführen. Der Antrag war abzulehnen, weil
eine diese Abstimmung beanstandende Verfassungsbeschwerde unzulässig
wäre.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
1. Im Wege der Verfassungsbeschwerde können nur Akte der öffentlichen
Gewalt angegriffen werden (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1
BVerfGG). An einem solchen Akt fehlt es hier. Mit der Durchführung einer
Abstimmung über einen Koalitionsvertrag unter ihren Mitgliedern übt die
SPD keine öffentliche Gewalt aus. Öffentliche Gewalt ist vornehmlich der
Staat in seiner Einheit, repräsentiert durch irgendein Organ. Parteien
sind nicht Teil des Staates. Sie wirken in den Bereich der Staatlichkeit
lediglich hinein, ohne ihm anzugehören.
2. Der Abschluss einer Koalitionsvereinbarung zwischen politischen
Parteien und die ihm vorangehende oder nachfolgende parteiinterne
Willensbildung wirken nicht unmittelbar und dergestalt in die staatliche
Sphäre hinein, dass sie als staatliches Handeln qualifiziert werden
könnten. Koalitionsvereinbarungen bedürfen vielmehr weiterer und
fortlaufender Umsetzung durch die regelmäßig in Fraktionen
zusammengeschlossenen Abgeordneten des Deutschen Bundestages.
3. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind an Aufträge und
Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38
Abs. 1 Satz 2 GG). Die politische Einbindung des Abgeordneten in Partei
und Fraktion ist verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt. Das
Grundgesetz weist den Parteien eine besondere Rolle im Prozess der
politischen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 GG), weil ohne die Formung
des politischen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine
stabile Demokratie in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann. Die von
Abgeordneten - in Ausübung des freien Mandats - gebildeten Fraktionen
sind notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens. Im
organisatorischen Zusammenschluss geht die Freiheit und Gleichheit des
Abgeordneten nicht verloren. Sie bleibt innerhalb der Fraktion bei
Abstimmungen und bei einzelnen Abweichungen von der Fraktionsdisziplin
erhalten und setzt sich im Anspruch der Fraktion auf proportionale
Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung fort.
4. Wie die politischen Parteien diesen parlamentarischen
Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiten, obliegt unter
Beachtung der - jedenfalls hier - nicht verletzten Vorgaben aus Art. 21
und 38 GG sowie des Parteiengesetzes grundsätzlich ihrer autonomen
Gestaltung. Es ist nicht erkennbar, dass die vom Antragsteller
beanstandete Abstimmung für die betroffenen Abgeordneten Verpflichtungen
begründen könnte, die über die mit der Fraktionsdisziplin verbundenen
hinausgingen.
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