Dass einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, zu der sich Rechts-
und Patentanwälte zusammengeschlossen haben, die gleichzeitige Zulassung
als Rechts- und Patentanwaltsgesellschaft faktisch verwehrt ist,
verstößt gegen die Berufsfreiheit. Dies hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss
entschieden. Die maßgeblichen Vorschriften der
Bundesrechtsanwaltsordnung und der Patentanwaltsordnung sind
verfassungswidrig und nichtig, soweit sie zugunsten der namensgebenden
Berufsgruppe deren Anteils- und Stimmrechtsmehrheit sowie deren
Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheit vorschreiben. Aufgrund dessen
hat der Senat berufsgerichtliche Entscheidungen aufgehoben und die
Sachen zurückverwiesen.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin in beiden Verfassungsbeschwerdeverfahren ist eine
Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Gründung. Gründer und
Gesellschafter sind zwei Patentanwälte und ein Rechtsanwalt, die jeweils
zu gleichen Teilen am Stammkapital beteiligt und zudem
einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer sind. Die
Beschwerdeführerin strebt eine doppelte Zulassung als
Rechtsanwaltsgesellschaft und als Patentanwaltsgesellschaft an.
Entsprechende Zulassungsanträge blieben bei den zuständigen
Berufskammern und auch in allen gerichtlichen Instanzen ohne Erfolg.
Hiergegen richten sich die Verfassungsbeschwerden.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in
ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die mittelbar
angegriffenen §§ 59e Abs. 2 Satz 1 und 59f Abs. 1
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sind nichtig, soweit sie einer
Berufsausübungsgesellschaft von Rechts- und Patentanwälten als
Rechtsanwaltsgesellschaft entgegenstehen, wenn nicht die Mehrheit der
Geschäftsanteile und Stimmrechte sowie die verantwortliche Führung und
die Mehrheit der Geschäftsführer den Rechtsanwälten überlassen sind.
Entsprechendes gilt für § 52e Abs. 2 Satz 1 und § 52f Abs. 1 Satz 1
Patentanwaltsordnung (PAO), die für eine Patentanwaltsgesellschaft in
der gleichen Weise den Vorrang der Patentanwälte regeln.
1. Die Beschwerdeführerin kann sich auf das Grundrecht der
Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) berufen. Als Vorgesellschaft einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung erfüllt sie die Voraussetzungen
einer juristischen Person im verfassungsrechtlichen Sinne des Art. 19
Abs. 3 GG. Die Beschwerdeführerin kann den Schutz der Berufsfreiheit
jedenfalls insoweit in Anspruch nehmen, als ihre Funk¬tion als
notwendige Vorstufe für die erstrebte Rechtsanwalts- und
Patentanwaltsgesellschaft dies erfordert.
2. Die verfahrensgegenständlichen Entscheidungen und die ihnen zugrunde
liegenden gesetzlichen Vorschriften greifen in die Berufsfreiheit der
Beschwerdeführerin ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.
a) Der Gesetzgeber verfolgt mit den angegriffenen Bestimmungen legitime
Zwecke, soweit er die Unabhängigkeit der handelnden Berufsträger und der
Gesellschaft schützen, die berufsrechtlichen Qualifikationsanforderungen
sichern und den maßgeblichen Einfluss der gesellschaftsprägenden
Berufsgruppe gewährleisten will. Hingegen kommt ein Schutz vor
Irreführung in der vorliegenden Konstellation als legitimer Zweck nicht
in Betracht.
b) Die Eignung der angegriffenen Vorschriften zur Erreichung der
festgestellten legitimen Zwecke kann dahinstehen, denn sie sind
jedenfalls nicht erforderlich, um diese zu erreichen. An der
Erforderlichkeit fehlt es, wenn der Gesetzgeber - wie hier - ein
anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark
einschränkendes Mittel hätte wählen können.
aa) Der Schutz der beruflichen Unabhängigkeit ist bereits durch
gesetzlich geregelte Berufspflichten der beteiligten Rechts- und
Patentanwälte sichergestellt, die die Berufsträger weniger belasten als
die angegriffenen Beschränkungen des Gesellschaftsrechts. So ist es
Rechts- und Patentanwälten sowie auch rechts- und patentanwaltlichen
Berufsausübungsgesellschaften untersagt, Bindungen einzugehen, durch die
ihre berufliche Unabhängigkeit gefährdet wird. Gesellschaftsstrukturen,
die Gefahren für die vom Gesetz für beide Berufe vorausgesetzte
Unabhängigkeit schaffen oder mit ihnen einhergehen, sind schon damit
umfassend verboten. Das Berufsrecht untersagt zudem Einflussnahmen der
Gesellschafter auf die berufliche Tätigkeit des einzelnen Rechtsanwalts
oder Patentanwalts. Diesen Verboten widersprechende Weisungen sind
nichtig und daher unbeachtlich. Unzulässige Einflussnahmen stellen
außerdem sanktionsbewehrte Berufspflichtverletzungen dar.
Die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten und
Patentanwälten schafft keine spezifischen Gefährdungen, die
weitergehende Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigen könnten.
Insbesondere sind - schon aufgrund des weitgehend übereinstimmenden
Berufsrechts - keine Übergriffe in die berufliche Unabhängigkeit durch
Angehörige der jeweils anderen Berufsgruppe zu befürchten. Auch die
kapitalgesellschaftliche Organisationsform lässt keine Anhaltspunkte für
spezifische Gefährdungen der Unabhängigkeit erkennen.
Die Wirksamkeit dieser berufsrechtlichen Bestimmungen für die Wahrung
der beruflichen Unabhängigkeit bleibt nicht hinter der zurück, die sich
mit den angegriffenen Regelungen erreichen lässt. Anders als die
Bestimmungen, die Einfluss und Entscheidungsgewalt einer Berufsgruppe
sicherstellen wollen, erreichen die Verbote des Berufsrechts das
gesetzgeberische Ziel unmittelbar, indem sie im konkreten Fall Bindungen
untersagen, welche die Unabhängigkeit gefährden.
bb) Auch soweit die angegriffenen Vorschriften auf die Sicherung der
Qualifikationsanforderungen zielen, stehen im maßgeblichen Berufsrecht
weniger belastende, aber gleichermaßen geeignete Mittel zur Verfügung.
Hierfür genügt bereits der für beide Berufsausübungsgesellschaften
geltende umfassende Berufsträgervorbehalt. Die
Berufsausübungsgesellschaft ist zwar selbst Trägerin der Zulassung, kann
selbst als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden und
trägt bei dieser Tätigkeit selbst die Rechte und Pflichten eines Rechts-
bzw. Patentanwalts. Ungeachtet dessen bleibt die tatsächliche
rechtsbesorgende Tätigkeit natürlichen Personen vorbehalten, die
ihrerseits zur Rechtsanwaltschaft beziehungsweise zur Patentanwaltschaft
zugelassen sind und damit die Qualifikationserfordernisse in eigener
Person erfüllen müssen. Auch bei gleichzeitiger Zulassung einer
interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaft als Rechtsanwalts- und
Patentanwaltsgesellschaft bedeutet dies, dass die Beratung und
Vertretung in Rechtsangelegenheiten außerhalb von Patentangelegenheiten
nur durch Berufsträger erbracht werden darf, die selbst die Zulassung
zur Rechtsanwaltschaft erlangt haben.
cc) Auch für den Schutz vor berufsrechtswidrigem Handeln sind die
angegriffenen Vorschriften nicht erforderlich. Eine persönliche Bindung
sämtlicher Berufsträger an das für die Gesellschaft maßgebliche
Berufsrecht ist das mildere Mittel gegenüber den angegriffenen
Regelungen. Diese setzt unmittelbar bei den maßgeblichen
berufsrechtlichen Pflichten an und vermeidet weitergehende Eingriffe in
die inneren Strukturen der Berufsausübungsgesellschaft, die das
angestrebte Ziel nur indirekt erreichen könnten.
Der unmittelbare Ansatz rechtfertigt zudem die Annahme einer zumindest
gleichen, wenn nicht sogar gesteigerten Wirksamkeit. Das wird durch die
Erfahrungen mit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder
Steuerberatungsgesellschaften belegt, bei denen der Gesetzgeber auch bei
interprofessioneller Zusammenarbeit die Angehörigen der sozietätsfähigen
Berufe als hinreichend qualifiziert ansieht, um auch den „fremden“
Berufspflichten Genüge zu tun. Aus der Praxis sind keine Hinweise
bekannt geworden, die diese Einschätzung auch nur in Zweifel ziehen
könnten.
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