In einem heute veröffentlichten Beschluss hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde gegen einen
Zweitwohnungsteuerbescheid der Stadt Konstanz stattgegeben und die
zugrundeliegenden Satzungen der Jahre 1989, 2002 und 2006 für nichtig
erklärt. Wenn ein degressiver Zweitwohnungsteuertarif - wie im
vorliegenden Fall - nicht durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe
gerechtfertigt ist, verletzt er das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende
Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der
Senat hat zudem die Sorgfaltsanforderungen für die Einhaltung von
Fristen bei Einlegung von Verfassungsbeschwerden per Telefax
konkretisiert: Die erforderliche Sorgfalt hat regelmäßig erfüllt, wer -
über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze
samt Anlagen hinaus - einen Sicherheitszuschlag von 20 Minuten bis
Fristende einkalkuliert.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Stadt Konstanz, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, zog den
Beschwerdeführer für die Jahre 2002 bis 2006 aufgrund einer Satzung zur
Zweitwohnungsteuer heran. 1. Die Steuertarife orientieren sich am
jährlichen Mietaufwand als steuerlicher Bemessungsgrundlage und
pauschalieren den Steuerbetrag durch Bildung von fünf
(Zweitwohnungsteuersatzung 1989) beziehungsweise acht
Mietaufwandsgruppen (Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006). Die
konkrete Ausgestaltung der Steuertarife führt insgesamt zu einem - in
Relation zum Mietaufwand - degressiven Steuerverlauf. Zwar steigt der
absolute Betrag der Zweitwohnung¬steuer mit zunehmender Jahresmiete in
Stufen an. Nicht nur auf den jeweiligen Stufen, sondern auch über die
Stufen hinweg sinkt jedoch der sich aus dem Mietaufwand und dem zu
zahlenden Steuerbetrag ergebende Steuersatz mit steigendem Mietaufwand
ab.
2. Der Beschwerdeführer hatte im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31.
August 2006 eine Zweitwohnung im Stadtgebiet von Konstanz inne, die ihm
von seinen Eltern überlassen worden war. Die Beklagte zog ihn für diesen
Zeitraum zu einer Zweitwohnungsteuer in Höhe von (zuletzt) 2.974,32 €
heran. Widerspruch und Klage des Beschwerdeführers hiergegen blieben
ohne Erfolg.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen begründet. Die
degressive Ausgestaltung der Zweitwohnungsteuertarife sowie die
Entscheidungen der Beklagten und der Fachgerichte verstoßen gegen Art. 3
Abs. 1 GG.
1. Der Beschwerdeführer hat die Verfassungsbeschwerde zwar erst nach
Ablauf der Beschwerdefrist erhoben. Er war jedoch ohne Verschulden an
der Fristwahrung gehindert, da der Telefaxanschluss des
Bundesverfassungsgerichts zwischen dem ersten Übermittlungsversuch um
22:57 und 24:00 Uhr am 29. Juni 2009 belegt war. Dem Beschwerdeführer
ist daher auf seinen fristgerechten Antrag hin Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren.
a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur möglich, wenn der
Beschwerdeführer die Frist ohne Verschulden, das heißt weder vorsätzlich
noch fahrlässig, versäumt hat. Fahrlässig handelt, wer mit der
Übermittlung eines Beschwerdeschriftsatzes nebst erforderlicher Anlagen
nicht so rechtzeitig beginnt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit dem
Abschluss der Übermittlung noch am Tag des Fristablaufs zu rechnen ist.
In Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat regelmäßig die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt erfüllt, wer einen über die zu erwartende
Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen
hinausgehenden Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von 20 Minuten
einkalkuliert. Für die Fristberechnung und damit auch die Einhaltung des
Sicherheitszuschlags ist der Zeitpunkt des vollständigen Empfangs im
Bundesverfassungsgericht maßgeblich, nicht aber die Vollständigkeit des
Ausdrucks. Den Sorgfaltsanforderungen genügt schließlich nur, wer
innerhalb der einzukalkulierenden Zeitspanne wiederholt die Übermittlung
versucht.
b) Danach traf den Beschwerdeführer kein Verschulden an der
Fristversäumnis, da er einen hinreichenden Sicherheitszuschlag
einkalkuliert hatte. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er
am Tag des Fristablaufs um 22:57 Uhr erstmals versucht hatte, die
Verfassungsbeschwerdeschrift nebst Anlagen an das
Bundesverfassungsgericht zu übermitteln, und dass er seinen Sendeversuch
bis zum Fristablauf mehrfach wiederholte. Er hatte mithin eine
Sicherheitsreserve von etwa 50 Minuten eingeplant.
2. Der degressive Steuertarif in den Zweitwohnungsteuersatzungen 1989,
2002 und 2006 verletzt das Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art. 3
Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
a) Als örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG
muss die von der Beklagten erhobene Zweitwohnungsteuer dem aus dem
allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebot der Besteuerung nach der
finanziellen Leistungsfähigkeit genügen. Das wesentliche Merkmal einer
Aufwandsteuer besteht darin, die in der Einkommensverwendung zum
Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu treffen; diese
spiegelt der jeweilige Mietaufwand als Bemessungsgröße der
Zweitwohnungsteuer wider.
b) Der degressive Steuertarif bewirkt eine Ungleichbehandlung der
Steuerschuldner, weil er weniger leistungsfähige Steuerschuldner
prozentual höher belastet als wirtschaftlich leistungsfähigere. Denn aus
dem Stufentarif ergibt sich mit steigendem Mietaufwand weitgehend ein
sinkender Steuersatz. Diese Ungleichbehandlung lässt sich bereits durch
Vergleich der jeweiligen mittleren Steuersätze in den Steuerstufen
feststellen. Eine weitere Ungleichbehandlung folgt aus den Differenzen
in der Steuerbelastung durch die typisierenden Stufen: So sinkt
beispielsweise innerhalb der zweiten Steuerstufe nach der Satzung 1989
die Steuerbelastung von fast 40 % auf rund 26 % und nach den Satzungen
2002/2006 von etwa 34,8 % auf 21,8 %. Am stärksten belastet werden
insgesamt Steuerpflichtige mit Jahresmieten im unteren Bereich der
jeweiligen Steuerstufen. Die Mindest- und Höchstbetragsstufen verstärken
diesen degressiven Effekt zusätzlich.
c) Degressive Steuertarife sind nicht generell unzulässig, weil der
Normgeber nicht ausnahmslos zu einer reinen Verwirklichung des
Leistungsfähigkeitsprinzips verpflichtet ist. Bei der Rechtfertigung
unterliegt er jedoch über das bloße Willkürverbot hinausgehenden
Bindungen durch das Leistungsfähigkeitsprinzip als materiellem
Gleichheitsmaß. Vom Bundesverfassungsgericht ist hierbei nur zu
untersuchen, ob der Normgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner
Gestaltungsfreiheit überschritten hat, nicht ob er die zweckmäßigste
oder gerechteste Lösung gefunden hat.
d) Die Ungleichbehandlung aufgrund der degressiven Steuertarife ist im
vorliegenden Fall nicht mehr gerechtfertigt.
aa) Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse können grundsätzlich
sachliche Gründe für eine Einschränkung der Besteuerung nach
Leistungsfähigkeit bilden. Von vornherein nicht zur Vereinfachung
geeignet ist der insgesamt, das heißt über verschiedene Steuerstufen
hinweg, degressiv gestaltete Verlauf des Steuertarifs. Hingegen bewirken
die Steuerstufen zwar eine gewisse Vereinfachung dadurch, dass nicht in
jedem Einzelfall die exakte Jahresnettokaltmiete ermittelt und in
Zweifelsfällen verifiziert werden muss. Jedoch ist dieser Effekt nicht
von hinreichendem Gewicht. Bereits die Differenz zwischen der höchsten
und niedrigsten Steuerbelastung auf der gleichen Stufe erreicht ein
beträchtliches Ausmaß, das angesichts des insgesamt degressiven
Tarifverlaufs nicht hinnehmbar ist. Hinzu treten die Effekte der
Degression zwischen den einzelnen Stufen: Zwischen der
Zweitwohnungsteuer bei einem Mietaufwand von 1.200 € und bei einem
Mietaufwand von 24.000 € kommt es nach der Satzung 1989 zu einer
Differenz von 29 Prozentpunkten (Steuerbelastungen von 34 % bzw. 5 %)
und nach den Satzungen 2002/2006 zu einer Differenz von 27
Prozentpunkten (Steuerbelastungen von 33 % bzw. 6 %).
bb) Auch Lenkungszwecke rechtfertigen die Ungleichbehandlung im
vorliegenden Fall nicht. Es stellt ein legitimes Ziel dar, die
Steuerpflichtigen nach den Maßgaben des Melderechts zur Ummeldung des
Nebenwohnsitzes in einen Hauptwohnsitz zu veranlassen. Ein weiterer
zulässiger Lenkungszweck liegt in der Erhöhung des Wohnungsangebots für
die einheimische Bevölkerung und insbesondere für Studierende der
Hochschulen vor Ort. Die steuerliche Differenzierung durch einen
degressiven Tarifverlauf erweist sich jedoch zur Erreichung dieser
Lenkungszwecke weder als geeignet noch als erforderlich. Zwar mag die
Erhebung der Zweitwohnungsteuer insgesamt geeignet sein,
Zweitwohnungsinhaber zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu bewegen; die
degressive Ausgestaltung des Steuertarifs selbst fördert diesen
Lenkungszweck jedoch nicht. Dieses Lenkungsziel würde in gleicher Weise
durch einen linearen oder gar progressiven Steuertarif erreicht, bei dem
die hier festgestellte Ungleichbehandlung nicht vorläge. Gleiches gilt
für den Lenkungszweck, das Halten von Zweitwohnungen einzudämmen.
3. Die Zweitwohnungsteuersatzungen der Stadt Konstanz der Jahre 1989,
2002 und 2006 sind daher nichtig. Die angegriffenen Bescheide der
Beklagten und die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts sowie des
Verwaltungsgerichtshofs werden aufgehoben. Die Sache wird an den
Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens
zurückverwiesen.
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