Die Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht ist verfassungswidrig.
Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute
verkündetem Urteil entschieden. Unter den gegebenen rechtlichen und
tatsächlichen Verhältnissen ist der mit der Sperrklausel verbundene
schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und
Chancengleichheit nicht zu rechtfertigen. Eine abweichende
verfassungsrechtliche Beurteilung kann sich ergeben, wenn sich die
Verhältnisse wesentlich ändern. Künftige Entwicklungen kann der
Gesetzgeber dann maßgeblich berücksichtigen, wenn sie aufgrund
hinreichend belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkte schon gegenwärtig
verlässlich zu prognostizieren sind. Die Entscheidung ist mit 5:3
Stimmen ergangen; der Richter Müller hat ein Sondervotum abgegeben.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Organstreitverfahren und Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen §
2 Abs. 7 des Europawahlgesetzes (EuWG), der für die Wahl zum
Europäischen Parlament eine Drei-Prozent-Sperrklausel vorsieht. Diese
Regelung wurde durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des
Europawahlgesetzes vom 7. Oktober 2013 (BGBl I S. 3749) eingefügt. Im
europäischen Recht verlangt der sogenannte Direktwahlakt, dass die
Mitglieder des Europäischen Parlaments in jedem Mitgliedstaat nach dem
Verhältniswahlsystem gewählt werden. Das Wahlverfahren bestimmt sich -
vorbehaltlich der sonstigen Vorschriften des Direktwahlaktes - in jedem
Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften. Die bei der
Europawahl 2009 geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel hat das
Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 9. November 2011 (BVerfGE 129,
300) für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG und daher
nichtig erklärt.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die Anträge in den Organstreitverfahren, soweit sie zulässig sind, und
die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg. Die Drei-Prozent-Sperrklausel
im Europawahlrecht verstößt unter den gegebenen rechtlichen und
tatsächlichen Verhältnissen gegen die Grundsätze der
Wahlrechtsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Chancengleichheit der
politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG).
1. Es kann hier dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen der
Gesetzgeber nach Nichtigerklärung einer Norm eine solche inhaltsgleich
erneut erlassen kann, denn die abgesenkte Mindestschwelle stellt bereits
keine inhaltsgleiche Normwiederholung dar. Auch ein Verstoß gegen das
Gebot der Organtreue liegt nicht vor; der Gesetzgeber hat die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fünf-Prozent-Sperrklausel
nicht bewusst missachtet, sondern gerade in Auseinandersetzung mit dem
Urteil vom 9. November 2011 gehandelt.
2. Der Direktwahlakt gibt einen Gestaltungsrahmen für den Erlass
nationaler Wahlrechtsvorschriften vor, die selbst aber den
verfassungsrechtlichen Bindungen des jeweiligen Mitgliedstaates
unterliegen. Dass die im Direktwahlakt eröffnete Möglichkeit, eine
Sperrklausel von bis zu 5 % der abgegebenen Stimmen festzulegen,
zugleich deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit nach dem jeweiligen
mitgliedstaatlichen Recht impliziert, lässt sich dem Direktwahlakt weder
nach seinem Wortlaut noch durch Auslegung entnehmen.
3. Die dem Urteil vom 9. November 2011 zugrunde liegenden Maßstäbe
beanspruchen Geltung auch im vorliegenden Verfahren.
a) Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, der sich für die Wahl der
deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus Art. 3 Abs. 1 GG
ergibt, sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der
Bürger und ist eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung. Aus
diesem Grundsatz folgt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten
grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche
Erfolgschance haben muss. Bei der Verhältniswahl verlangt dieser
Grundsatz darüber hinaus, dass jeder Wähler mit seiner Stimme auch den
gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der zu wählenden Vertretung
haben muss, denn Ziel des Verhältniswahlsystems ist es, dass alle
Parteien in einem möglichst den Stimmenzahlen angenäherten Verhältnis in
dem zu wählenden Organ vertreten sind.
Der aus Art. 21 Abs. 1 GG abzuleitende Grundsatz der Chancengleichheit
der Parteien verlangt, dass jeder Partei grundsätzlich die gleichen
Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit gleiche Chancen bei
der Verteilung der Sitze eingeräumt werden.
b) Zwischen Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien
besteht ein enger Zusammenhang. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
von Einschränkungen folgt den gleichen Maßstäben. Beide Grundsätze
unterliegen keinem absoluten Differenzierungsverbot; allerdings folgt
aus ihrem formalen Charakter, dass dem Gesetzgeber nur ein eng
bemessener Spielraum verbleibt. Differenzierungen im Wahlrecht können
nur durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung
legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit die
Waage halten kann. Hierzu zählt insbesondere die Sicherung der
Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung.
c) Maßgeblich sind die aktuellen Verhältnisse. Der Gesetzgeber ist zwar
nicht daran gehindert, auch konkret absehbare künftige Entwicklungen zu
berücksichtigen. Maßgebliches Gewicht kann diesen jedoch nur dann
zukommen, wenn die weitere Entwicklung aufgrund hinreichend belastbarer
tatsächlicher Anhaltspunkte schon gegenwärtig verlässlich zu
prognostizieren ist.
Im vorliegenden Verfahren kann offenbleiben, inwieweit dem Ansatz des
Deutschen Bundestages zu folgen ist, dass Sperrklauseln bereits unter
Aspekten der Vorsorge gegen Gefahren für die Funktionsfähigkeit
gerechtfertigt sind. Dies kann allenfalls für Volksvertretungen gelten,
bei denen eine Schwächung der Funktionsfähigkeit gleichbedeutend sein
kann mit einer entsprechenden Schwächung der Fähigkeit, hierauf mit
einer Korrektur des Wahlrechts zu reagieren. Denn bezogen auf das
Europäische Parlament sind Korrekturen durch den nationalen
Wahlrechtsgesetzgeber möglich. Mit einer rein vorsorglich statuierten
Sperrklausel würde der schwerwiegende Eingriff in die
Wahlrechtsgleichheit in unverhältnismäßiger Weise vorverlagert.
d) Die Ausgestaltung des Wahlrechts unterliegt einer strikten
verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Dies folgt aus der generellen
Erwägung, dass die parlamentarische Mehrheit mit Regelungen, die die
Bedingungen der politischen Konkurrenz berühren, gewissermaßen in
eigener Sache tätig wird und gerade bei der Wahlgesetzgebung die Gefahr
besteht, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von
gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten
lässt. Aus diesem Grunde kann die verfassungsgerichtliche Kontrolle auch
nicht durch Zubilligung von weitgehend frei ausfüllbaren
Prognosespielräumen zurückgenommen werden.
4. Nach diesen Maßstäben ist die Drei-Prozent-Sperrklausel (§ 2 Abs. 7
EuWG) mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar. Der Senat hat
im Urteil vom 9. November 2011 festgestellt, dass die bei der Europawahl
2009 gegebenen und fortbestehenden tatsächlichen und rechtlichen
Verhältnisse keine hinreichenden Gründe bieten, die den mit der
Fünf-Prozent-Sperrklausel verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die
Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der
politischen Parteien rechtfertigen. Eine maßgebliche Veränderung der
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ist seither nicht
eingetreten. Die Drei-Prozent-Sperrklausel findet keine Rechtfertigung
im Hinblick auf zu erwartende politische und institutionelle
Entwicklungen und damit verbundene Änderungen der Funktionsbedingungen
des Europäischen Parlaments in der nächsten Wahlperiode.
a) Der Gesetzgeber geht zutreffend davon aus, dass eine antagonistische
Profilierung von Regierung und Opposition auf europäischer Ebene unter
Umständen dann eine Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht
rechtfertigen kann, wenn in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht
Verhältnisse gegeben sind, die denen auf nationaler Ebene vergleichbar
sind, wo die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer
handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig
ist. Eine dahingehende Entwicklung des Europäischen Parlaments wird zwar
politisch angestrebt, steckt indes noch in den Anfängen. Tatsächliche
Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments sind
derzeit nicht abzusehen, so dass für die Prognose des Gesetzgebers, es
drohe ohne die Drei-Prozent-Sperrklausel eine Funktionsbeeinträchtigung
des Europäischen Parlaments, die Grundlage fehlt.
b) Das Europäische Parlament verfolgt ausweislich seiner Entschließung
vom 22. November 2012 im Einverständnis mit der derzeitigen Kommission
das Ziel einer Stärkung der politischen Legitimität beider
Institutionen, deren Wahl jeweils unmittelbarer mit der Entscheidung der
Wähler verknüpft werden soll. Um dies zu fördern, sollen die
europäischen politischen Parteien Kandidaten für das Amt des
Kommissionspräsidenten nominieren. Eine Änderung der europarechtlichen
Grundlagen wird jedoch nicht angestrebt. Auch bleibt unklar, wie das
politische Anliegen, die demokratische Willensbildung auf europäischer
Ebene zu stärken, im Rahmen des geltenden Unionsrechts mit Relevanz für
die hier zu entscheidende Frage umgesetzt werden soll. Die damit
verbundenen Fragen können jedoch dahin stehen.
c) Es ist nämlich bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht konkret
absehbar, dass die angestoßene politische Entwicklung ohne eine
Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht zu einer
Funktionsbeeinträchtigung des Europäischen Parlaments führen könnte.
aa) Derzeit lässt sich nicht einmal abschätzen, in welchem Umfang und
mit welchen Auswirkungen die in der Entschließung vom 22. November 2012
zum Ausdruck gebrachte Position sich gegenüber den Vertretern der
Mitgliedstaaten im Europäischen Rat und im Rat wird durchsetzen lassen.
Auch der Umfang damit möglicherweise einhergehender Veränderungen im
politischen Prozess innerhalb des Europäischen Parlaments in der
kommenden Wahlperiode bleibt spekulativ. Soweit die
Drei-Prozent-Sperrklausel danach mit der Erwägung gerechtfertigt werden
sollte, der beabsichtigte „Demokratisierungsschub“ dürfe nicht dadurch
in Frage gestellt werden, dass von Deutschland aus eine Zersplitterung
des Europäischen Parlaments in Kauf genommen werde, verfehlte dies nicht
nur die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung von
Eingriffen in die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit der
politischen Parteien. Es würde auch der Offenheit des politischen
Prozesses nicht gerecht, der für die parlamentarische Debatte gerade im
Hinblick auf mögliche Umstrukturierungen wesentlich ist und zu dem
kleine Parteien einen wichtigen Beitrag leisten können.
bb) Es ist auch nicht belegbar, dass die Mehrheitsbildung im
Europäischen Parlament infolge der angestrebten Politisierung
strukturell beeinträchtigt wird.
(1) Zwar ist nicht auszuschließen, dass die Zusammenarbeit der beiden
großen Fraktionen im Europäischen Parlament in Zukunft nicht mehr oder
in signifikant geringerem Umfang stattfindet. Ob und inwieweit dies der
Fall sein wird, ist jedoch ungewiss; denkbar sind jedenfalls auch
Entwicklungen, die die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments
unbeeinträchtigt lassen. So kann es Gründe für die Annahme geben, dass
die beiden großen Fraktionen, die regelmäßig eine absolute Mehrheit der
Mandate auf sich vereinen, auch weiterhin in einer Vielzahl von Fällen
an einer Zusammenarbeit interessiert, wenn nicht sogar auf eine solche
angewiesen sind.
(2) Darüber hinaus kann auch nicht ohne weiteres unterstellt werden,
dass die bislang praktizierte flexible Mehrheitsbildung im Parlament
durch die Zuwahl neuer Abgeordneter kleiner Parteien nennenswert
erschwert würde. Möglich ist auch, dass etwaige deutlichere politische
Gegensätze zwischen den einzelnen Fraktionen deren internen Zusammenhalt
gerade erhöhen. Zudem ist offen, ob eine infolge stärkerer
parteipolitischer Profilierung veränderte Wahrnehmung des Europäischen
Parlaments nicht Wähler mehr als bislang zu strategischem Wahlverhalten
veranlassen und dies einer Zunahme der im Europäischen Parlament
vertretenen Parteien entgegenwirken würde.
(3) Die in der mündlichen Verhandlung genannte Zahl von künftig
möglicherweise 80 kooperationsunwilligen Abgeordneten lässt sich
angesichts derartiger Ungewissheiten nicht mit der notwendigen
Wahrscheinlichkeit prognostizieren. Ohnehin bezogen sich die
betreffenden Äußerungen nicht auf die Zahl der zu erwartenden
fraktionslosen Abgeordneten kleiner Parteien mit einem oder zwei
Abgeordneten, sondern auf Abgeordnete bestimmter unionskritischer
Parteien, die voraussichtlich nicht an einer Sperrklausel scheitern
werden.
(4) Im Hinblick auf die Integrationskraft der Fraktionen ist schließlich
nicht ersichtlich, dass in der kommenden Wahlperiode neu gewählte
Abgeordnete kleinerer Parteien von vornherein keine Aufnahme in einer
der etablierten Fraktionen oder in einer neu gegründeten weiteren
Fraktion finden könnten. Es wird allerdings zu beobachten sein, wie sich
eine denkbare Wahl von Abgeordneten weiterer, in der deutschen
Parteienlandschaft im Wettbewerb stehender Parteien auswirken wird.
Gesicherte Einschätzungen sind derzeit auch diesbezüglich nicht möglich.
Sich etwa konkret abzeichnenden Fehlentwicklungen kann der Gesetzgeber
Rechnung tragen.
d) Die Drei-Prozent-Sperrklausel greift zwar weniger intensiv in die
Wahlrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien ein als
die frühere Fünf-Prozent-Sperrklausel. Daraus folgt jedoch nicht, dass
der auch mit der Drei-Prozent-Sperrklausel verbundene Eingriff in die
Wahlrechtsgleichheit vernachlässigbar wäre und keiner Rechtfertigung
bedürfte. Ein Sitz im Europäischen Parlament kann bereits mit etwa einem
Prozent der abgegebenen Stimmen errungen werden, so dass die
Sperrklausel praktische Wirksamkeit entfaltet. Da eine Sperrklausel im
deutschen Europawahlrecht gegenwärtig bereits nicht erforderlich ist, es
also an der Rechtfertigung bereits dem Grunde nach fehlt, kommt es auf
Fragen der Angemessenheit der Drei-Prozent-Klausel nicht an.
Abweichende Meinung des Richters Müller:
Nach meiner Überzeugung stellt der Senat zu hohe Anforderungen an die
Feststellung einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des
Europäischen Parlaments und trägt damit dem Auftrag des Gesetzgebers zur
Ausgestaltung des Wahlrechts unzureichend Rechnung. Die Bewertung des
Korridors zwischen der rein theoretischen Möglichkeit und dem sicheren
Eintritt einer Funktionsbeeinträchtigung ist dem Gesetzgeber
vorbehalten. Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, die
vertretbare Entscheidung des Gesetzgebers durch eine eigene vertretbare
Entscheidung zu ersetzen. Im Ergebnis führt die Entscheidung des Senats
zur Hinnahme des Risikos einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit
des Europäischen Parlaments jedenfalls für die Dauer einer
Legislaturperiode. Dass dies verfassungsrechtlich geboten ist, vermag
ich nicht zu erkennen.
Die Entscheidung des Senats hat die Unzulässigkeit jeglicher
Sperrklausel bei der Wahl des Europäischen Parlaments zur Folge. Die
verfassungsrechtliche Bewertung von § 2 Abs. 7 EuWG hat daher von der
Frage auszugehen, ob bei einem unionsweiten Verzicht auf Sperrklauseln
von einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen
Parlaments auszugehen ist. Die Prognose des Gesetzgebers, dass eine
weitere Zersplitterung des Europäischen Parlaments zur Verhinderung der
Bildung notwendiger Mehrheiten führen kann, ist vor diesem Hintergrund
nicht zu beanstanden. Ihre Plausibilität bleibt nicht hinter der
Plausibilität vergleichbarer Prognosen, die auf nationale Parlamente
bezogen sind, zurück. Inwieweit die Integrationskraft der bestehenden
Fraktionen einer weiteren Zersplitterung des Parlaments entgegenwirken
könnte, ist ebenso wenig absehbar wie die Bildung neuer Fraktionen.
Soweit auf eine Zusammenarbeit der großen Fraktionen verwiesen wird,
steht dem bereits entgegen, dass der Fortbestand ihrer absoluten
Mehrheit nicht gewährleistet ist. Daher durfte der Gesetzgeber bei
seiner Prognoseentscheidung diese Umstände außer Betracht lassen.
Die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments
ist hinreichend gewichtig, um einen Eingriff in die Grundsätze der
Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien zu rechtfertigen.
Das Europäische Parlament ist ein Parlament eigener Art. Die
Unterschiede in Aufgabenstellung und Funktion zum Deutschen Bundestag
sind (noch) erheblich, rechtfertigen jedoch eine grundlegend andere
Gewichtung der Bedeutung der Sicherung seiner Funktionsfähigkeit nicht.
Durchgreifende Zweifel, dass § 2 Abs. 7 EuWG den Grundsätzen der
Geeignetheit und Erforderlichkeit hinreichend Rechnung trägt, habe ich
nicht. Unter Berücksichtigung des Befundes, dass mit Ausnahme Spaniens
in allen Mitgliedstaaten das Erreichen eines Stimmenanteils von
mindestens 3 % Voraussetzung der Zuteilung eines Mandats bei der Wahl
zum Europäischen Parlaments ist, ist es nicht zu beanstanden, dass der
Gesetzgeber eine Sperrklausel in dieser Höhe als zur Sicherung der
Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments geeignet angesehen hat.
Der Erforderlichkeit des Eingriffs kann auch die Möglichkeit einer
Korrektur des Europawahlrechts durch den nationalen Gesetzgeber, die
ihre Wirkung erst für die nachfolgende Wahlperiode entfalten könnte,
nicht entgegengehalten werden. Stattdessen wäre der Gesetzgeber
verpflichtet, § 2 Abs. 7 EuWG zu ändern, sollte sich nachträglich die
Fehlerhaftigkeit seiner Prognose herausstellen.
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