Eine berufsgerichtliche Entscheidung, mit der besonders schwerwiegende
berufsrechtliche Verfehlungen sanktioniert werden, darf auf
entsprechender gesetzlicher Grundlage kraft richterlicher Anordnung auch
nichtanonymisiert im Ärzteblatt veröffentlicht werden. Dies hat die 3.
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute
veröffentlichtem Beschluss entschieden. Die maßgebliche Vorschrift des
nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetzes enthält eine
verfassungskonforme Rechtsgrundlage für die Urteilsveröffentlichung; die
Berufsgerichte haben sie zudem im konkreten Fall nach
verfassungsrechtlichen Maßstäben zutreffend angewendet.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer ist niedergelassener Facharzt. Die Ärztekammer hält
ihm vor, er habe gegenüber Privatpatienten Rechnungen erstellt, die
nicht in Einklang mit der Gebührenordnung für Ärzte stünden. Den Begriff
der „Sitzung“ im Sinne der Gebührenordnung habe der Beschwerdeführer zu
seinem Vorteil dahingehend ausgelegt, dass Sitzungen auch an Tagen
stattgefunden hätten, an denen die Patienten nicht in der Praxis waren.
Das Berufsgericht für Heilberufe stellte fest, dass der Beschwerdeführer
in allen vier zur Verhandlung stehenden Fällen gegen seine
Berufspflichten verstoßen habe, und erkannte auf die Entziehung des
passiven Berufswahlrechts sowie auf eine Geldbuße in Höhe von 25.000
Euro. Es ordnete zudem an, dass die Ärztekammer nach § 60 Abs. 3 des
nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetzes (HeilBerG NRW) berechtigt
sei, das Urteil nach Rechtskraft im Ärzteblatt der zuständigen
Ärztekammer zu veröffentlichen. Nach dieser Vorschrift kann „in
besonderen Fällen ... auf Veröffentlichung der Entscheidung erkannt
werden“. Das Landesberufsgericht für Heilberufe reduzierte die Geldbuße
auf 20.000 Euro und bestätigte die weiteren Sanktionen. Die
Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen diese beiden Entscheidungen
sowie mittelbar gegen § 60 HeilBerG NRW.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in
seinen Grundrechten.
1. Die der berufsgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden
Vorschriften stehen mit Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang; sie sind
hinreichend bestimmt. Aus der Tatsache, dass zu dem hier relevanten
Tatbestandsmerkmal der „Sitzung“ unterschiedliche Auffassungen vertreten
werden, kann nicht gefolgert werden, dass deshalb die der
berufsrechtlichen Sanktion zugrunde liegenden Regelungen nicht bestimmt
genug seien, um eine berufsgerichtliche Verurteilung zu rechtfertigen.
Für den Beschwerdeführer war jedenfalls schon angesichts der
Alltagsbedeutung des Begriffs hinreichend deutlich erkennbar, dass die
von ihm vertretene, davon abweichende Auffassung mit einem
Sanktionsrisiko belegt ist.
2. Die angegriffenen Entscheidungen stehen zudem mit dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG)
in Einklang.
a) Eine Regelung, die zu Eingriffen in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht ermächtigt, ist nur dann zulässig, wenn sie zum
Schutz eines gewichtigen Gemeinschaftsgutes geeignet und erforderlich
ist und der Schutzzweck hinreichend schwer wiegt, so dass er die
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts in ihrem Ausmaß rechtfertigt.
§ 60 Abs. 3 HeilBerG NRW genügt diesen Anforderungen; die Regelung ist
insbesondere verhältnismäßig. Sie betrifft Angehörige der Heilberufe,
denen ein besonderes, schützenswertes Vertrauen entgegengebracht wird.
Das Berufsrecht kann Fehlverhalten, das dieses Vertrauen erschüttert
oder zu erschüttern geeignet ist, mit geeigneten Maßnahmen
sanktionieren.
Nach dem naheliegenden, jedenfalls verfassungsrechtlich vertretbaren
Verständnis der angegriffenen Entscheidungen sieht die Vorschrift des §
60 Abs. 3 HeilBerG NRW vor, dass eine rechtskräftige berufsgerichtliche
Verurteilung nichtanonymisiert veröffentlicht wird. Eine solche Maßnahme
findet ihre Rechtfertigung in einem berechtigten Interesse an einer
Information der Allgemeinheit, insbesondere der Gemeinschaft der
Versicherten, wie auch der Kammerangehörigen, die sodann ihr Verhalten
nach Kenntnis einer solchen Verfehlung steuern können. Neben dieser im
Grundsatz generalpräventiven Wirkung dient die Veröffentlichung auch der
weiteren Sanktionierung eines beträchtlichen individuellen
Fehlverhaltens, das auch die Gefahr einer höheren Kostenlast für die
Gemeinschaft der Versicherten in sich trägt.
Eine Ermächtigung zur Veröffentlichung eines nicht anonymisierten
berufsgerichtlichen Urteils ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich
unbedenklich, wenn es sich um vereinzelte, herausgehobene Fälle handelt.
Zudem ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt, sofern die Veröffentlichung
nur in einem berufsrechtlichen Medium und einmalig erfolgt.
b) Auch gegen die Anwendung der Vorschrift im Einzelfall ist
verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Die Anwendung der Sanktion
bedarf einer Abwägung im Einzelfall; eine solche Abwägung haben die
Berufsgerichte vorgenommen. Es ist verfassungsrechtlich insbesondere
nicht zu beanstanden, dass die Berufsgerichte das dem Beschwerdeführer
vorgeworfene Berufsvergehen als besonders schwerwiegend eingeordnet
haben, weil in einer systematischen Vorgehensweise mit dem Ziel eines
den Vorschriften der Gebührenordnung widersprechenden Abrechnungssystems
eine hohe Schadensneigung begründet liegt.
3. Aus dem vom Beschwerdeführer weiterhin gerügten Grundrecht der
Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt insoweit kein weitergehender
Schutz.
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