Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde eines Arbeitgeberverbandes gegen gewerkschaftlich
organisierte, streikbegleitende Flashmob-Aktionen im Einzelhandel nicht
zur Entscheidung angenommen. Gegenstand des Verfahrens sind
arbeitsgerichtliche Entscheidungen, die einen solchen Aufruf im
konkreten Fall für zulässig hielten. Die fachgerichtliche Auslegung des
Arbeitskampfrechts berücksichtigt die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte
Koalitionsfreiheit des Beschwerdeführers hinreichend; daher ist die
Verfassungsbeschwerde unbegründet.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die im Ausgangsverfahren beklagte Gewerkschaft veröffentlichte während
eines Streiks im Einzelhandel im Jahr 2007 ein virtuelles Flugblatt mit
der Frage „Hast Du Lust, Dich an Flashmob-Aktionen zu beteiligen?“, bat
Interessierte um die Handy-Nummer, um diese per SMS zu informieren, wenn
man gemeinsam „in einer bestreikten Filiale, in der Streikbrecher
arbeiten, gezielt einkaufen gehen“ wolle, „z. B. so: Viele Menschen
kaufen zur gleichen Zeit einen Pfennig-Artikel und blockieren damit für
längere Zeit den Kassenbereich. Viele Menschen packen zur gleichen Zeit
ihre Einkaufswagen voll (bitte keine Frischware!!!) und lassen sie dann
stehen.“
Im Dezember 2007 führte die Gewerkschaft in einer Filiale eines
Einzelhandelsunternehmens eine solche Flashmob-Aktion durch. Es
beteiligten sich etwa 40 bis 50 Personen; die Aktion dauerte zwischen 45
und 60 Minuten. Der Beschwerdeführer ist ein Arbeitgeberverband für den
Einzelhandel. Seine Klage mit dem Ziel, der Gewerkschaft den Aufruf zu
weiteren derartigen Flashmobs zu untersagen, blieb vor den
Arbeitsgerichten in allen Instanzen erfolglos. Dagegen richtet sich die
Verfassungsbeschwerde.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
1. Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verletzen nicht
die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit des
Beschwerdeführers.
a) Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht auf Streik und Aussperrung
als die traditionell anerkannten Formen des Arbeitskampfs beschränkt.
Die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung ihrer
koalitionsspezifischen Zwecke für geeignet halten, überlässt Art. 9 Abs.
3 GG grundsätzlich ihnen selbst. Das Grundgesetz schreibt nicht vor, wie
die gegensätzlichen Grundrechtspositionen im Einzelnen abzugrenzen sind;
es verlangt keine Optimierung der Kampfbedingungen. Umstrittene
Arbeitskampfmaßnahmen werden unter dem Gesichtspunkt der
Proportionalität überprüft; durch den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen
soll kein einseitiges Übergewicht bei Tarifverhandlungen entstehen. Die
Orientierung des Bundesarbeitsgerichts am Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit ist insofern nicht zu beanstanden.
b) Danach lässt sich eine Verletzung des Beschwerdeführers in seiner
Koalitionsfreiheit durch die angegriffenen Urteile nicht feststellen.
Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt insbesondere, dass sich durch
die Teilnahme Dritter an Flashmob-Aktionen die Gefahr erhöhen kann, dass
diese außer Kontrolle geraten, weil Dritte weniger beeinflussbar sind.
Es setzt der - im Ausgangsverfahren auch tatsächlich eingeschränkten -
Teilnahme Dritter daher auch rechtliche Grenzen. So muss der Flashmob
als gewerkschaftlich getragene Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, was
auch für Schadensersatzforderungen der Arbeitgeber bei rechtswidrigen
Aktionen von Bedeutung ist. Das Bundesarbeitsgericht hat sich auch mit
der Frage nach wirksamen Gegenmaßnahmen der Arbeitgeberseite gegen einen
streikbegleitenden Flashmob intensiv auseinandergesetzt. Es ist nicht
Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, eine eigene Einschätzung zur
praktischen Wirksamkeit von Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite
an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen, solange diese nicht
einer deutlichen Fehleinschätzung folgen. Eine solche ist hier nicht
erkennbar. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt insbesondere auch die
Interessen der Arbeitgeberseite. Gegen die fachgerichtliche
Einschätzung, das Hausrecht und die vorübergehende Betriebsstilllegung
seien als wirksame Verteidigungsmittel anzusehen, ist
verfassungsrechtlich daher nichts zu erinnern.
2. Der Beschwerdeführer kann zudem nicht mit Erfolg geltend machen, er
sei in seinen Grundrechten aus Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art.
20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG verletzt, weil die angegriffenen Urteile
die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
missachteten. Die Gerichte sind aufgrund des
Justizgewährleistungsanspruchs verpflichtet, wirkungsvollen Rechtsschutz
zu bieten. Sie müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben mit den
anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den bestehenden
Rechtsgrundlagen ableiten, was im Einzelfall gilt. Entschieden die
Gerichte für Arbeitssachen arbeitskampfrechtliche Streitigkeiten mit
Hinweis auf fehlende gesetzliche Regelungen nicht, verhielten sie sich
ihrerseits verfassungswidrig.
Es unterliegt von Verfassungs wegen auch keinen Bedenken, dass das
Bundesarbeitsgericht die Flashmob-Aktionen auf der Grundlage geltenden
Rechts nach Maßgabe näherer Ableitungen aus dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht als generell unzulässig beurteilt.
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