Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit einer Richtervorlage des
Bundesfinanzhofs festgestellt. Das Verfahren der konkreten
Normenkontrolle betrifft eine Übergangsvorschrift aus dem
Körperschaftsteuergesetz, die den zeitlichen Anwendungsbereich einer im
Jahr 1997 verschärften Regelung zur Verhinderung des sog. Mantelkaufs
definiert. Der Bundesfinanzhof war der Auffassung, dass die in der
Übergangsvorschrift enthaltene Stichtagsregelung nicht mit dem
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Der
Vorlagebeschluss entspricht jedoch nicht den Begründungsanforde-rungen
zur Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm; er setzt sich nicht
ausreichend mit der einschlägigen fach- und verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung auseinander.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
1. Das Körperschaftsteuergesetz gewährt unter bestimmten Voraussetzungen
die Möglichkeit, einen Verlust aus dem laufenden Jahr in späteren Jahren
gewinnmindernd geltend zu machen (sog. Verlustvortrag). Zu diesem Zweck
wird der am Schluss des jeweiligen Veranlagungszeit-raums nicht
ausgeglichene Verlust als „verbleibender Verlustvortrag“ in einem
Bescheid geson-dert festgestellt.
Nach dem früheren § 8 Abs. 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) setzte die
Berechtigung zum Verlustvortrag unter anderem die wirtschaftliche
Identität mit der Gesellschaft voraus, die den Verlust erlitten hat.
Dies soll verhindern, dass durch Veräußerung von Geschäftsanteilen einer
im Wesentlichen vermögenslosen Kapitalgesellschaft (d. h. eines Mantels)
- wirtschaftlich betrachtet - Verlustvorträge verkauft werden können. Im
Jahr 1997 wurden die Kriterien des früheren § 8 Abs. 4 KStG verschärft:
Demnach liegt wirtschaftliche Identität insbesondere dann nicht vor,
wenn mehr als die Hälfte der Anteile einer Kapitalgesellschaft
übertragen werden und die Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb mit
überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt.
Unschädlich ist jedoch eine Zuführung neuen Betriebsvermögens zur
Sanierung des Geschäftsbetriebs, der dann in den folgenden fünf Jahren
in vergleichbarem Umfang fortgeführt werden muss. § 54 Abs. 6 KStG
enthält die Übergangsvorschrift zu dieser Verschärfung: Sie ist im
Grundsatz erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden,
ausnahmsweise aber dann erstmals für den Veranlagungszeitraum 1998, wenn
der Verlust der wirtschaftlichen Identität zwischen dem 1. Januar und
dem 5. August 1997 eingetreten ist. Der 5. August 1997 ist der Tag des
Gesetzesbeschlusses im Deutschen Bundestag.
2. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine GmbH. Einen auf das
Jahresende 1996 festge-stellten verbleibenden Verlustvortrag
berücksichtigte das Finanzamt im Jahr 1997 nicht. Die da-gegen erhobene
Klage führte zu einem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des
Bundesfinanzhofs (I. Senat) vom 8. Oktober 2008, dessen Ausführungen
dieser durch Beschluss vom 14. März 2011 ergänzte. Nach der verschärften
Verlustabzugsbeschränkung des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG sei die Klägerin
mit der Kapitalgesellschaft, die den Verlust erlitten habe,
wirtschaftlich nicht mehr iden-tisch. Diese Regelung sei wegen der
Übergangsvorschrift bereits für das Jahr 1997 anzuwenden. Der Verlust
der wirtschaftlichen Identität sei vor dem 1. Januar 1997 eingetreten,
so dass der Ausnahmetatbestand für Fälle, bei denen der Verlust der
wirtschaftlichen Identität zwischen dem 1. Januar und dem 5. August 1997
eingetreten ist, nicht eingreife. Aufgrund dieser Ungleichbe-handlung
hält der Bundesfinanzhof die Übergangsvorschrift für unvereinbar mit
Art. 3 Abs. 1 GG.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die Vorlage ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen, die an
die Begründung einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu stellen sind.
Zwar wird die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage hinreichend
dargelegt. Die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der vorgelegten
Norm reichen jedoch nicht aus.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der
Vorlagebeschluss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben, die
naheliegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erörtern,
sich eingehend sowohl mit der einfachrechtlichen als auch mit der
verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, dabei die in der
Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen
berücksichtigen und insbesondere auf die maßgebliche Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts eingehen.
2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Ausführungen zum
verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, die sich lediglich allgemein zu
den Anforderungen des Gleichheitssatzes verhalten, der vorliegenden
Fallgestaltung gerecht werden. Sie lassen insbesondere unberücksichtigt,
dass es sich bei § 54 Abs. 6 KStG um eine Übergangsvorschrift handelt.
3. Jedenfalls setzt sich die Vorlage nicht ausreichend mit der
einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und mit der im
Ergänzungsbeschluss herangezogenen Verfassungsrechtsprechung
auseinander.
a) Im Vorlagebeschluss weicht der Bundesfinanzhof in mehrfacher Hinsicht
von Wertungen der eigenen Rechtsprechung ab, ohne diese Abweichungen zu
thematisieren. Dies betrifft insbesonde-re das Urteil des vorlegenden I.
Senats vom 27. August 2008, das die Anwendung von § 8 Abs. 4 KStG auf
einen Fall betraf, in dem der Verlust der wirtschaftlichen Identität
zwischen dem 1. Januar und dem 5. August 1997 eingetreten war. In diesem
Urteil entschied der Bundesfinanzhof, es stehe der Versagung des
Verlustabzugs im Jahr 1998 nicht entgegen, dass das Finanzamt den
verbleibenden Verlustvortrag für 1997 positiv festgestellt habe.
Abweichend hiervon leitet der I. Senat jedoch im vorgelegten Verfahren
aus dem Ablauf mindestens eines Veranlagungszeitraums und dem Erlass
eines rechtmäßigen Verlustfeststellungsbescheids eine schutzwürdige
Bekräftigung von Vertrauen für das Folgejahr her.
Im gleichen Urteil nahm der vorlegende I. Senat an, die Anwendung der
verschärften Regelung für das Jahr 1998 greife nicht in rechtsstaatlich
unzulässiger Weise in bereits abgeschlossene Sachverhalte ein und
verletze das Vertrauen der beteiligten Steuerpflichtigen nicht. Wenn
demnach Vertrauensschutz allenfalls in Bezug auf den
Veranlagungszeitraum besteht, in welchem die Umstrukturierungsmaßnahmen
vorgenommen werden, hätte der Gesetzgeber diesem Vertrauen mit der
Übergangsvorschrift ausreichend Rechnung getragen. Bei
Umstrukturierungen vor 1997 hätte schutzwürdiges Vertrauen allenfalls im
Jahr der Umstrukturierung, nicht aber noch im Jahr 1997 bestanden, so
dass gerade keine Vergleichbarkeit beider Fallgruppen vorliegt.
Das weitere Argument des Bundesfinanzhofs im Vorlagebeschluss, es könne
nicht unterstellt werden, dass die Neuregelung diese Unternehmen
wirtschaftlich weniger hart treffe, weil sie Verluste möglicherweise
noch nicht hätten nutzen können, vernachlässigt die sich aufdrängende
Frage, inwieweit das Interesse von Unternehmen an einer tatsächlichen
oder gar bestmöglichen Nutzung von Verlusten in späteren
Veranlagungszeiträumen überhaupt schutzwürdig ist.
b) Im Ergänzungsbeschluss geht der Bundesfinanzhof von der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit einer
unechten Rückwirkung mit den Grundsätzen des verfassungsrechtlich
gebotenen Vertrauensschutzes aus. Er nimmt an, dass von der Verschärfung
des § 8 Abs. 4 KStG in erheblichem Umfang auch Fälle erfasst werden, bei
denen keine missbräuchliche Gestaltung vorliegt. Jedoch geht der
vorlegende I. Senat der naheliegenden Frage nicht nach, ob eine etwaige
überschießende Wirkung wegen der im Steuerrecht bestehenden Befugnis des
Gesetzgebers zur Typisierung - hier: der typisierenden Bekämpfung von
missbräuchlichen Gestaltungen - verfassungsrechtlich sowohl für Neufälle
als auch für Altfälle hingenommen werden kann. Zudem fehlt es an einer
ausreichenden Darlegung der Vergleichbarkeit des Sachverhalts, der der
herangezogenen Verfassungsrechtsprechung zugrunde lag, mit der hier zu
beurteilenden Fallgestaltung.
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