Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts zwei Verfassungsbeschwerden von Apothekern
gegen die sogenannte Retaxation auf Null nicht zur Entscheidung
angenommen. Die Apotheker wenden sich gegen Urteile des
Bundessozialgerichts, nach denen Vergütungsansprüche gegen die
gesetzlichen Krankenkassen vollständig ausgeschlossen sind, falls
Arzneimittel ohne Beachtung von Rabattverträgen abgegeben werden. Für
die Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführer, insbesondere ihrer
durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit, ist auf Grundlage
des Vorbringens der Verfassungsbeschwerden nichts ersichtlich.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
1. § 129 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) regelt unter anderem
die Verpflichtung von Apotheken zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel
in den Fällen, in denen ein Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner
Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des Arzneimittels
durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat
(„aut-idem-Regelung“). Bei der Abgabe eines wirkstoffgleichen
Arzneimittels ist die Ersetzung grundsätzlich durch ein Arzneimittel
vorzunehmen, für das eine Rabattvereinbarung mit Wirkung für die
betroffene (gesetzliche) Krankenkasse besteht. Das Nähere regelt auf der
Grundlage des § 129 SGB V ein Rahmenvertrag über die
Arzneimittelversorgung zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen
und dem Deutschen Apothekerverband. 2. Die Beschwerdeführer sind
Apotheker. Im Oktober 2007 gaben sie an Versicherte der im
Ausgangsverfahren beklagten Krankenkasse jeweils ein Arzneimittel ab,
das in der ärztlichen Verordnung mit der Maßgabe „aut idem“ bezeichnet
war. Die Krankenkasse hatte für das jeweilige Arzneimittel mit dessen
Hersteller keinen Rabattvertrag geschlossen, jedoch für andere, hiermit
austauschbare Arzneimittel. Aus diesem Grund vergütete die Krankenkasse
den jeweils abgerechneten Betrag in Höhe von 17,49 € beziehungsweise
47,08 € im Ergebnis nicht. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor
dem Bundessozialgericht ohne Erfolg. Mit dem abgegebenen Arzneimittel
habe die Apotheke ihre öffentlich-rechtliche Leistungspflicht nicht
erfüllt, sondern das Substitutionsgebot für das jeweils „aut idem“
verordnete Rabattarzneimittel missachtet. Der Verstoß gegen das
Substitutionsgebot schließe jegliche Vergütung für die Abgabe des
Arzneimittels aus.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie
haben keine Aussicht auf Erfolg, weil für eine Verletzung der gerügten
Grundrechte nichts ersichtlich ist. Insbesondere ist nicht erkennbar,
dass die Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen in
ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt sein könnten.
1. Zunächst ist nicht aufgezeigt, dass die formalen Anforderungen in
Bezug auf den berufsbezogenen Gesetzesvorbehalt nicht erfüllt sind. Die
vom Bundessozialgericht vorgenommene Auslegung des SGB V und des
Rahmenvertrags bewegt sich im Rahmen herkömmlicher Rechtsfindung. Es ist
Aufgabe und Befugnis der Fachgerichte, die Zweifelsfragen, die sich -
wie hier - mangels einer ausdrücklichen Regelung bei der
Gesetzesanwendung stellen, mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden
zu beantworten.
Die Beschwerdeführer stellen lediglich ihre eigene Auslegung dem
Normverständnis des Bundessozialgerichts gegenüber, ohne hinreichend
substantiiert aufzuzeigen, dass sich die Auslegung in den angegriffenen
Entscheidungen nicht mehr im Rahmen anerkannter Methoden der
Rechtsfindung bewegt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die
Regelung von Sanktionen, die im Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 4 SGB V zu
erfolgen hat und in § 11 des Rahmenvertrags auch tatsächlich erfolgt
ist, unter systematischen Gesichtspunkten gegen die vom
Bundessozialgericht angenommene Rechtsfolge sprechen sollte, zumal auch
im einschlägigen Rahmenvertrag das Nebeneinander von Vertragsmaßnahmen
und Retaxationen vorausgesetzt wird.
2. Zudem gibt es keine Hinweise darauf, dass das Bundessozialgericht bei
seinen Entscheidungen durch den vollständigen Vergütungsausschluss
unverhältnismäßig in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete
Berufsfreiheit der Beschwerdeführer eingegriffen hätte.
a) Auch auf der Grundlage der Ausführungen der Beschwerdeführer ist
nicht erkennbar, dass die vom Bundessozialgericht gewählte Auslegung
nicht geeignet ist, um dem genannten Gemeinwohlbelang, das heißt der
Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen
Krankenversicherung, zu dienen. Ebenso wenig überzeugt die Auffassung
der Beschwerdeführer, wonach die pauschale „Retaxation auf Null“ nicht
erforderlich sei, weil es mildere und insbesondere differenziertere
Mittel gebe, um den Abgabevorschriften Wirksamkeit zu verleihen.
Insbesondere legen die Beschwerdeführer nicht plausibel dar, dass die
nach § 129 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit § 11 des Rahmenvertrags
vorgesehene Möglichkeit einer Vertragsmaßnahme ein gleich wirksames,
aber die Berufsfreiheit weniger fühlbar einschränkendes Mittel ist, um
die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen
Krankenversicherung zu erreichen. Entscheidend ist, dass die
Vertragsmaßnahmen nicht bereits im konkreten Fall auf die Verletzung des
Substitutionsgebots reagieren können.
Ein auf die „Sowiesokosten“ im Falle der Abgabe eines
Rabattvertragsarzneimittels beschränkter Vergütungs- beziehungsweise
Bereicherungsanspruch stellt zwar ein milderes Mittel als der
vollständige Vergütungsausschluss dar, ist aber nicht in gleicher Weise
geeignet. Es liegt im Gegenteil auf der Hand, dass der Ausschluss
jeglicher Vergütung wegen der weitergehenden Nachteile für die Apotheken
stärkere Wirkungen für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots
zeigt.
b) Schließlich ergibt sich auf der Grundlage des Vorbringens der
Beschwerdeführer keine Unzumutbarkeit des vollständigen
Vergütungsausschlusses bei einem Verstoß gegen das Substitutionsgebot.
Das Ausmaß einer wirtschaftlichen Betroffenheit haben die
Beschwerdeführer weder in Hinblick auf ihre eigenen Betriebe noch in
genereller Hinsicht hinreichend konkret dargelegt. Gegen eine Annahme
der Unzumutbarkeit spricht zudem entscheidend, dass es die
Beschwerdeführer selbst in der Hand haben, ihre Vergütungsansprüche
durch ein pflichtgemäßes, dem Substitutionsgebot entsprechendes
Ausgabeverhalten zu verdienen und für sich zu sichern.
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