Die Wiederwahl von Horst Köhler als Bundespräsident durch die 13.
Bundesversammlung am 23. Mai 2009 sowie die Wahl von Christian Wulff zum
Bundespräsidenten durch die 14. Bundesversammlung am 30. Juni 2010 sind
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Die
Anträge eines Mitglieds der beiden Bundesversammlungen, die sich gegen
die Bundesversammlungen sowie gegen den Bundestagspräsidenten als deren
Leiter gerichtet hatten, blieben somit ohne Erfolg.
Sachverhalt:
1. Die 13. Bundesversammlung trat am 23. Mai 2009 zusammen. Sie hatte
insgesamt 1.224 Mitglieder, und zwar die 612 Mitglieder des Bundestages
und 612 Mitglieder, die von den Länderparlamenten gewählt worden waren.
In den Volksvertretungen von 10 Ländern stand für die Wahl der
Mitglieder der Bundesversammlung jeweils nur eine einzige, von allen
Fraktionen gemeinsam aufgestellte Liste zur Wahl. In dieser Liste waren,
für jede Fraktion separat, auch Ersatzkandidaten ausgewiesen.
Am Tag vor der Bundesversammlung reichte der Antragsteller gemeinsam mit
den Beigetretenen und einem weiteren Mitglied der Bundesversammlung
schriftlich die Anträge ein, eine eigene Geschäftsordnung zu beschließen
und einen Tagesordnungspunkt „Vorstellung der Kandidaten“ aufzunehmen.
Zeitlich danach wurde für die Mehrheit der Mitglieder der
Bundesversammlung ein Antrag für eine Geschäftsordnung eingereicht, nach
dem die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sinngemäß mit der
Maßgabe Anwendung finden sollte, dass Geschäftsordnungsanträge und
andere Anträge nur schriftlich gestellt werden können sowie eine
mündliche Begründung und eine Aussprache nicht stattfindet.
In der Bundesversammlung stellte der Bundestagspräsident - als Leiter
der Bundesversammlung - zunächst die Beschlussfähigkeit fest und
erklärte sodann, dass es mangels einer Geschäftsordnung an der Grundlage
für Wortmeldungen oder Aussprachen fehle. Im Anschluss daran stellte er
den von der Mehrheit getragenen Antrag zur Abstimmung, der von der
Bundesversammlung angenommen wurde. Den Antrag, eine Vorstellung der
Kandidaten bis zu 30 Minuten zu ermöglichen, ließ der
Bundestagspräsident nicht zu.
2. Die 14. Bundesversammlung, die am 30. Juni 2010 zusammentrat, bestand
aus insgesamt 1.244 Mitgliedern, und zwar den 622 Mitgliedern des
Bundestages und 622 Mitgliedern, die von den Länderparlamenten gewählt
worden waren. In den Volksvertretungen von 10 Ländern stand wiederum
eine einheitliche Liste mit nach Fraktionen getrennten Ersatzkandidaten
zur Abstimmung.
Der Antragsteller und die Beigetretenen reichten schriftlich drei
Anträge ein mit der Ankündigung, eine Begründung erfolge mündlich. Für
die Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung wurde schriftlich ein
gemeinsamer Antrag für eine Geschäftsordnung eingereicht, die der von
der 13. Bundesversammlung beschlossenen entsprach.
Den ersten Antrag des Antragstellers, mit dem dieser die
Rechtsgültigkeit der Wahl der Mitglieder der Bundesversammlung in 10
Ländern beanstandete, ließ der Bundestagspräsident nicht zu, ebenso
wenig eine mündliche Begründung des Antrags. Im Anschluss daran stellte
der Bundestagspräsident den von der Mehrheit getragenen Antrag zur
Abstimmung, den die Bundesversammlung annahm. Den zweiten Antrag des
Antragstellers, nach dem in der Geschäftsordnung der Bundesversammlung
vorgesehen werden sollte, dass jeder Kandidat Gelegenheit erhalten
sollte, sich bis zu 30 Minuten vorzustellen, ließ der
Bundestagspräsident ebenfalls nicht zu. Den dritten Antrag des
Antragstellers, die Benennung von „Wahlbeobachtern“ zu gestatten,
stellte der Bundestagspräsident zur Abstimmung, ohne zuvor Gelegenheit
zur mündlichen Begründung zu geben. Die Bundesversammlung lehnte den
Antrag ab.
Wesentliche Erwägungen des Senats: 1. Die Anträge, die
die Gültigkeit der Wahl des Bundespräsidenten und die Zusammensetzung
der Bundesversammlung betreffen, sind unzulässig. a) Soweit der
Antragsteller erstrebt, die Bundespräsidentenwahl für ungültig zu
erklären und eine Wiederholungswahl anzuordnen bzw. festzustellen, dass
die Wahl unwirksam ist und eine Wiederholungswahl durchzuführen gewesen
wäre, sind diese Anträge nicht statthaft. Im Organstreitverfahren stellt
das Bundesverfassungsgericht fest, ob die beanstandete Maßnahme oder
Unterlassung gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Eine
Entscheidung im Organstreitverfahren kann keine rechtsgestaltende
Wirkung haben oder den Antragsgegner zu einem bestimmten Verhalten
verpflichten. Ebenso wenig zulässig sind Feststellungen mit gestaltender
Wirkung.
b) Soweit der Antragsteller die fehlerhafte Zusammensetzung der
Bundesversammlung beanstandet, hat er nicht dargetan, dass ihm von
Verfassungs wegen ein organschaftliches Recht zustehen könnte, die Wahl
der von anderen Ländern in die Bundesversammlung entsandten Delegierten
zu rügen und mit dieser Begründung die ordnungsgemäße Zusammensetzung
der Bundesversammlung auf den Prüfstand zu stellen. Rechtsschutz in
Bezug auf Fehler bei der Wahl der Delegierten in den Volksvertretungen
der Länder wird allein gemäß § 5 des Bundespräsidentenwahlgesetzes
(BPräsWahlG) gewährt. Danach ist jedes Mitglied des jeweiligen Landtages
und jeder in eine Vorschlagsliste aufgenommene Bewerber zu einem
Einspruch berechtigt. Zu diesem Personenkreis zählt der Antragsteller
nicht, der sich nicht gegen die Wahl im Landtag von
Mecklenburg-Vorpommern, dem er angehört, sondern gegen den Wahlmodus in
anderen Ländern wendet. Weitergehende organschaftliche Rechte, auf die
sich der Antragsteller berufen könnte, bestehen nicht. Der
Bundesversammlung kommt weder die Pflicht noch auch nur die Befugnis zu,
in anderen als den in § 5 BPräsWahlG vorgesehenen Fällen über die
Gültigkeit der Wahl ihrer Mitglieder zu befinden. Der Antragsteller geht
davon aus, dass Verfassungsorganen ein derartiges Selbstprüfungsrecht
selbstverständlich zustehe. Dies ist jedoch nicht der Fall.
2. Die Anträge, mit denen der Antragsteller ein Rede- und Antragsrecht
in der Bundesversammlung geltend macht, sind unbegründet. a) Die
Bundesversammlung hat nach Art. 54 Abs. 1 GG ausschließlich die Aufgabe,
den Bundespräsidenten zu wählen. Sie ist ein reines Kreationsorgan. Der
verfassungsrechtliche Status der Mitglieder der Bundesversammlung kann
deshalb nicht losgelöst von der dem Bundespräsidenten nach dem
Grundgesetz eingeräumten Stellung beurteilt werden. Der Verfassungsgeber
hat im Grundgesetz das Amt des Bundespräsidenten aufgrund der
Erfahrungen mit der Weimarer Reichsverfassung konzipiert. Nach der
Ausgestaltung seines Amtes ist er nicht einer der drei klassischen
Gewalten zuzuordnen. Er verkörpert die Einheit des Staates. Autorität
und Würde seines Amtes kommen gerade auch darin zum Ausdruck, dass es
auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist. Mit dieser
Stellung des Bundespräsidenten korrespondiert das Verfahren seiner Wahl.
Der Ausgestaltung des Wahlaktes wurde besondere Bedeutung beigemessen.
Die Bundesversammlung hat nicht nur zur Aufgabe, den Bundespräsidenten
zu wählen, sondern sie soll zugleich in ihren Abläufen die besondere
Würde des Amtes unterstreichen. Vor diesem Hintergrund kann zur
Bestimmung der Rechte der Mitglieder der Bundesversammlung nicht auf die
Rechte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zurückgegriffen
werden. In der Bundesversammlung ist - anders als im Bundestag - der
Gang der Geschäfte weitgehend vorbestimmt. Damit fügt es sich, dass das
Grundgesetz keine Regelung zu einer Geschäftsordnungsautonomie der
Bundesversammlung enthält. Die Öffentlichkeit hat für die
Bundesversammlung eine andere Funktion als für den Bundestag. Es kommt
allein auf die Sichtbarkeit des Wahlaktes in seinen realen und
symbolischen Dimensionen an; eine öffentliche Debatte ist gerade nicht
vorgesehen. b) Das den Mitgliedern der Bundesversammlung durch Art. 54
Abs. 1 Satz 1 GG (allein) zuerkannte Recht, den Bundespräsidenten zu
wählen, umfasst die Befugnis, durch Stimmabgabe am Wahlakt teilzunehmen,
und den Anspruch darauf, dass ihre Stimmen gemäß Art. 54 Abs. 6 GG und
den Grundsätzen freier und gleicher Wahl gewertet werden. Nach Art. 54
Abs. 1 GG findet die Wahl „ohne Aussprache“ statt. Zu einer Personal-
oder Sachdebatte über oder mit den Kandidaten sind die Mitglieder der
Bundesversammlung danach nicht berechtigt. Das Ausspracheverbot schützt
die Würde des Wahlakts, der dem parteipolitischen Streit enthoben sein
soll. Es richtet sich deshalb nicht nur an die Mitglieder der
Bundesversammlung, sondern auch an die Kandidaten. Damit die
Bundesversammlung ihre Aufgaben funktionsgerecht erfüllen kann, obliegt
es den Mitgliedern, sich die für ihre Wahlentscheidung erforderlichen
Informationen außerhalb der Bundesversammlung zu verschaffen. Über das
eigentliche Wahlrecht hinausgehende Mitwirkungsrechte der Mitglieder der
Bundesversammlung kommen allenfalls in geringem Umfang in Betracht,
soweit sie zur Wahrnehmung des Wahlrechts erforderlich sind. Auf den
Ablauf der Bundesversammlung können ihre Mitglieder dadurch Einfluss
nehmen, dass sie der Bundesversammlung eine Geschäftsordnung geben und
einen Wahlvorstand wählen. Diese Befugnisse folgen jedoch nicht aus
einem durch die Verfassung übertragenen Recht, sondern ergeben sich
lediglich aus dem auf der Grundlage von Art. 54 Abs. 7 GG erlassenen § 8
Satz 2 BPräsWahlG. Die Abgabe der Stimmen und ihre Auszählung bedürfen
eines Rede- und Antragsrechts grundsätzlich nicht. Im Übrigen ist eine
Aussprache von Verfassungs wegen zwar nicht untersagt, aber auch nicht
gefordert. Vielmehr bestimmt Art. 54 Abs. 7 GG, dass die weiteren
Einzelheiten des Wahlverfahrens durch einfaches Gesetz geregelt werden.
c) Der Präsident des Bundestages hat als Leiter der Bundesversammlung
die Aufgabe, für eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zu sorgen.
Ihm stehen weitergehende Befugnisse zu als bei der Leitung von Sitzungen
des Bundestages. Die Aufgabe der Bundesversammlung besteht allein in der
„Kür“ des Bundespräsidenten. Dem entspricht es, dass der Leiter der
Versammlung jedenfalls solche Anträge, die nicht die Durchführung der
Wahl an sich betreffen oder offensichtlich nicht im Einklang mit der
Verfassung stehen, nicht zur Abstimmung stellt und damit die
zeremonielle, symbolische Bedeutung des Wahlakts bewahrt. Der Leiter der
Bundesversammlung ist befugt, die Prüfung der Zulässigkeit der Anträge
nach diesen Maßstäben vorzunehmen, ohne dem jeweiligen Antragsteller
zuvor das Wort zu erteilen.
Der Leiter der Bundesversammlung muss allerdings die grundsätzlich
gleiche Stellung der Mitglieder der Bundesversammlung beachten. Diesen
steht ein Recht nicht nur auf gleiche Wertung ihrer Stimmen, sondern
auch auf gleiche Teilhabe an der Ausgestaltung des Wahlverfahrens zu.
Für die Leitungsbefugnisse des Präsidenten des Bundestages bedeutet dies
insbesondere, dass er über die Behandlung von Anträgen eine willkürfreie
das heißt nicht von sachfremden Erwägungen geleitete Entscheidung
treffen muss.
d) aa) Nach diesen Maßstäben war der Bundestagspräsident im Rahmen
seiner Leitungsbefugnisse berechtigt, die Zulässigkeit des Antrags auf
Erweiterung der Tagesordnung der 13. Bundesversammlung um einen Punkt
„Vorstellung der Kandidaten“ zu prüfen. Eine solche Vorstellung hätte
eine Verletzung des Ausspracheverbots des Art. 54 Abs. 1 Satz 1 GG
bedeutet. Es war daher zum Schutz der funktionsgerechten
Aufgabenerfüllung durch die Bundesversammlung geboten, diesen Antrag
nicht zur Abstimmung zu stellen. Gleiches gilt für die vom Antragsteller
erstrebte Erweiterung der Geschäftsordnung in der 14. Bundesversammlung.
bb) Der Bundestagspräsident hat keine Rechte des Antragstellers
verletzt, indem er den Antrag auf Ausschließung von Mitgliedern der
Bundesversammlung wegen einer Fehlerhaftigkeit ihrer Wahl in den
Volksvertretungen der Länder nicht zur Abstimmung gestellt hat. Die
Bundesversammlung hätte sich durch die Befassung mit diesem Antrag eine
Kompetenz angemaßt, die ihr nach dem Grundgesetz nicht zukommt.
cc) Soweit der Antragsteller geltend macht, durch die
Geschäftsordnungsbeschlüsse der jeweiligen Bundesversammlung in seinem
Rederecht verletzt zu sein, sind die Anträge unbegründet. Das
Grundgesetz weist den Mitgliedern der Bundesversammlung ein Rederecht
grundsätzlich nicht zu. dd) Der Bundestagspräsident hat keine Rechte des
Antragstellers dadurch verletzt, dass er diesem nicht das Wort zur
Begründung seiner Anträge erteilt hat. Dies gilt insbesondere für die
von vornherein unzulässigen Anträge auf Ausschließung von Mitgliedern.
Der Bundestagspräsident war auch nicht gehalten, vor der
Beschlussfassung über eine Geschäftsordnung Redebeiträge zuzulassen. Ist
bereits erkennbar, dass die Bundesversammlung sich eine eigene
Geschäftsordnung geben möchte, kommt die Geschäftsordnung des
Bundestages, die ein solches Rederecht vorsieht, von vornherein nicht
zum Tragen.
Dahingestellt bleiben kann, welche grundlegenden Geschäftsordnungsregeln
der Leiter der Bundesversammlung in jedem Fall zu beachten hat.
Jedenfalls ist das konkrete Vorgehen des Bundestagspräsidenten nicht zu
beanstanden, weil der von der Mehrheit der Mitglieder der
Bundesversammlung getragene Antrag zur Geschäftsordnung erkennbar zum
Ziel hatte, in der Bundesversammlung generell keine Redebeiträge
zuzulassen. Diese Zielrichtung hätte der Bundestagspräsident
unterlaufen, wenn er vor der Abstimmung über diesen Antrag dem
Antragsteller das Wort erteilt hätte.
Ebenso war der Bundestagspräsident nicht verpflichtet, dem Antragsteller
in der 14. Bundesversammlung das Wort zur Begründung des Antrags zu
erteilen, die Benennung von „Wahlbeobachtern“ zu gestatten. Insoweit
handelte der Bundestagspräsident in Ausführung der zuvor beschlossenen
Geschäftsordnung, deren Schriftlichkeitsprinzip verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden ist und ihm insoweit keinen Entscheidungsspielraum
beließ.
3. Soweit der Antragsteller die Ablehnung seines Antrags, in der 14.
Bundesversammlung die Benennung eines bei der Stimmenauszählung
anwesenden „Wahlbeobachters“ zu gestatten, durch die Bundesversammlung
beanstandet, ist dieser Antrag unbegründet. Das Bundesverfassungsgericht
hat in einem die 15. Bundesversammlung betreffenden Eilverfahren im Jahr
2012 entschieden, dass ein solches Recht einem Mitglied der
Bundesversammlung offensichtlich nicht zusteht, weil das Grundgesetz
diesem kein Recht übertragen hat, als „Wahlbeobachter“ nach jedem
Wahlgang zur Wahl des Bundespräsidenten an der Auszählung der Stimmen
und der Ermittlung des Wahlergebnisses teilzunehmen. Auch der Grundsatz
der Öffentlichkeit der Wahl gebietet die Zulassung von
„Wahlbeobachtern“, die durch Wahlvorschlagsträger benannt werden, nicht.
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