Das Ausbleiben einer Rentenerhöhung und die Erhöhung der
Krankenkassenbeiträge der Rentner zum 1. Juli 2005 verstoßen nicht gegen
das Grundgesetz. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss
entschieden. Mit beiden Maßnahmen hat sich der Gesetzgeber innerhalb
seines Gestaltungsermessens im Bereich des Sozialrechts bewegt.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführer wenden sich u. a. gegen das Ausbleiben einer
Rentenerhöhung zum 1. Juli 2005 sowie gegen Änderungen bei der
Krankenversicherung der Rentner zu diesem Termin. Mit ihren
Verfassungsbeschwerden greifen sie den jeweiligen Bescheid ihres
Rentenversicherungsträgers sowie die diesen bestätigenden
sozialgerichtlichen Entscheidungen an.
Die Fortschreibung der Rentenwerte ist im Sozialgesetzbuch Sechstes Buch
(SGB VI) geregelt. Wesentliche Faktoren sind zum einen die Entwicklung
der Löhne und Gehälter und zum anderen die Entwicklung der
Rentenversicherungsbeiträge, in die seit 2002 ein sogenannter
Altersvorsorgeanteil für die private Altersversorgung eingerechnet wird.
Seit 2004 gilt zudem ein Nachhaltigkeitsfaktor, der die ungünstige
demografische Entwicklung in Deutschland abfedern soll. Bei der
Fortschreibung des aktuellen Rentenwerts zum 1. Juli 2005 konnte die
dämpfende Wirkung des ansteigenden Altersvorsorgeanteils und des
Nachhaltigkeitsfaktors durch die geringe positive Lohnentwicklung von
0,12 % in den alten Ländern nicht kompensiert werden. Rechnerisch hätte
sich der Rentenwert trotz einer positiven Lohnentwicklung vermindert;
wegen einer gesetzlichen Schutzklausel blieb es jedoch bei der
bisherigen Höhe des Rentenwerts.
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
beschloss der Gesetzgeber im Jahr 2003, dass die Versicherten ab 1.
Januar 2006 einen zusätzlichen Beitrag in Höhe von 0,5 % tragen sollen.
Hintergrund war die Absicht, die Arbeitgeber und
Rentenversicherungsträger in einem Umfang zu entlasten, der in etwa den
Aufwendungen der Krankenkassen für das Krankengeld entspricht. Darüber
hinaus sollte zum 1. Januar 2005 der Zahnersatz aus dem Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen werden. Nachdem sich
Schwierigkeiten bei der Einführung einer eigenständigen
Zahnersatzversicherung gezeigt hatten, nahm der Gesetzgeber diese
Änderung im Jahr 2004 zurück. Um die geplante Entlastung der Arbeitgeber
dennoch zu erreichen, wurde nunmehr bereits ab 1. Juli 2005 ein
zusätzlicher Beitrag der Arbeitnehmer und Rentner in Höhe von 0,9 %
erhoben.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig, im Übrigen
jedenfalls unbegründet.
1. Grundrechte der Beschwerdeführer werden durch die unterbliebene
Erhöhung der Renten zum 1. Juli 2005 nicht verletzt.
a) Ob der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1
GG) auch die jährliche Rentenanpassung umfasst, kann im Ergebnis offen
bleiben, denn die angegriffene Fortschreibung des Rentenwerts zum 1.
Juli 2005 ist jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt und
bestimmt zugleich Inhalt und Schranken des Eigentums in
verfassungsgemäßer Weise.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, dass dem Gesetzgeber
eine ausreichende Flexibilität erhalten bleiben muss, um das
Rentenversicherungssystem und insbesondere dessen Finanzierung zu
gewährleisten. Gesetzliche Maßnahmen, die der Erhaltung der Funktions-
und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung dienen,
müssen allerdings von einem gewichtigen öffentlichen Interesse getragen
und verhältnismäßig sein.
bb) Die Änderungen der Formel zur Fortschreibung des aktuellen
Rentenwerts, insbesondere die Einfügung des Altersvorsorgeanteils und
des Nachhaltigkeitsfaktors, sind von dem gewichtigen öffentlichen
Interesse bestimmt, die Finanzierbarkeit des Systems der gesetzlichen
Rentenversicherung zu sichern. Dabei sah der Gesetzgeber die Bewahrung
der Generationengerechtigkeit als für die gesetzliche Rentenversicherung
existenziell an, weil Jung und Alt, Beitragszahler und Leistungsbezieher
aufgrund der praktizierten Umlagefinanzierung im sogenannten
Generationenvertrag miteinander verbunden sind.
Maßgebend für die Einführung des Altersvorsorgeanteils war die vor dem
Hintergrund des demografischen Wandels unter jüngeren Menschen weit
verbreitete Unsicherheit, ob sie trotz hoher Beiträge im Alter noch eine
ausreichende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten
werden. Es wurde zunehmend bezweifelt, dass künftige Beitragszahler ab
dem Jahr 2030 bereit sein werden, eine Belastung ihres Einkommens durch
die Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von
möglicherweise 24 bis 26 % zu akzeptieren.
Die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors geht auf wissenschaftliche
Erkenntnisse zum Ausmaß des demografischen Wandels zurück. Die
Zielorientierung war, dass die Beiträge zur Rentenversicherung bis zum
Jahr 2020 nicht über 20 % und bis zum Jahr 2030 nicht über 22 % steigen
sollten, um sicherzustellen, dass auch bei einer angemessenen Versorgung
im Alter die Versicherten nicht überfordert werden.
cc) Der Gesetzgeber durfte sowohl die Einfügung des
Altersvorsorgeanteils als auch die Einfügung des Nachhaltigkeitsfaktors
als geeignet und erforderlich ansehen. Es liegt innerhalb seines
Gestaltungsermessens, wenn er der Stabilisierung und Begrenzung des
Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung aus systemimmanenten
Gründen zur Wahrung des Grundsatzes der Generationengerechtigkeit
Priorität einräumt. Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage
war er auch nicht gehalten, den sich abzeichnenden Finanzbedarf über
einen höheren Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung
sicherzustellen.
dd) Die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen gesetzlichen
Maßnahmen sind, jedenfalls mit Blick auf die Fortschreibung der
Rentenwerte zum 1. Juli 2005, verhältnismäßig im engeren Sinne. Die
Lohnentwicklung als wesentlicher Maßstab wird lediglich ergänzt um
strikt regelgebundene Mechanismen, die die steigenden, aber auch
gegebenenfalls sinkenden Aufwendungen der jüngeren Generation für die
Alterssicherung bei der Rentenanpassung berücksichtigen. Damit die
beiden Dämpfungsfaktoren im Ergebnis nicht zu einer Kürzung des
aktuellen Rentenwerts führen, wurde zudem eine Schutzklausel eingefügt,
nach der sie nur insoweit angewendet werden, wie sie eine positive Lohn-
und Gehaltsentwicklung neutralisieren. Die Bewertung der erbrachten
Vorleistungen hat der Gesetzgeber damit nicht geändert. Auch die
rentenrechtliche Rangstelle der Versicherten in der Solidargemeinschaft,
die ihren Anteil an der Umverteilung bestimmt, wird nicht berührt.
b) Ein Verstoß gegen das Rechts- und Sozialstaatsprinzip des Art. 20
Abs. 1 und 3 GG ist gleichfalls nicht ersichtlich. Wo konkret der
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der
Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung seine Grenze findet, weil
die Rente ihre Funktion als substantielle Alterssicherung verlöre,
bedarf mit Blick auf die hier angegriffene Rentenanpassung zum 1. Juli
2005 keiner Entscheidung. Denn es ist offensichtlich, dass diese Grenze
hierdurch nicht erreicht wird.
2. Auch die den Rentnerinnen und Rentnern auferlegte Pflicht, einen
zusätzlichen Krankenkassenbeitrag zur Krankenversicherung der Rentner
allein zu tragen, ist mit der Verfassung vereinbar.
a) Auch hier kann im Ergebnis offen bleiben, ob der Schutzbereich des
Eigentumsgrundrechtes (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) eröffnet ist, denn die
Einführung des Zusatzbeitrags ist jedenfalls verfassungsrechtlich
gerechtfertigt und bestimmt zugleich Inhalt und Schranken des Eigentums
in verfassungsgemäßer Weise.
b) Die angestrebte Senkung der Lohnnebenkosten ist ein Regelungsziel,
das im öffentlichen Interesse liegt, denn mit der finanziellen
Entlastung der Arbeitgeber und auch der Rentenversicherung sollte die
Reform der gesetzlichen Krankenversicherung dazu beitragen,
Beschäftigung zu fördern, was wiederum zu mehr Einnahmen und damit zu
einer Stabilisierung der Finanzgrundlagen der Sozialversicherung
insgesamt führen sollte. Ziel war es, die gesetzliche
Krankenversicherung vor dem Hintergrund des damaligen Ausgabenanstiegs
und der dadurch verursachten Finanzierungslücke vor allem durch
strukturelle Änderungen finanziell zu entlasten.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer veranlasst der Umstand, dass
der Gesetzentwurf die Erhebung des Zusatzbeitrags im Zusammenhang mit
einer Umfinanzierung des Krankengelds nennt, insoweit keine andere
Beurteilung. Zu Recht geht das Bundessozialgericht davon aus, dass der
von den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichtende
zusätzliche Krankenversicherungsbeitrag rechtlich nicht an die
Finanzierung bestimmter Leistungen, insbesondere des Krankengeldes,
gebunden ist, sondern allenfalls die Größenordnung bezeichnet werden
sollte, in dem Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger entlastet
werden sollten.
c) Der Gesetzgeber durfte die Einführung des Zusatzbeitrags unter
Ausschöpfung seines Gestaltungsspielraums als geeignet und erforderlich
ansehen. Gegen die Einschätzung, die Maßnahme ermögliche das
Beitragssatzniveau und damit die Lohnnebenkosten von Arbeitgebern zu
senken, ist nichts einzuwenden. Allein für die gesetzliche
Rentenversicherung sollten sich im Vergleich zu 2004 im Jahr 2005
Minderausgaben in einer finanziellen Größenordnung von 450 Millionen
Euro und ab 2006 von 900 Millionen Euro ergeben, welche indirekt über
einen Dämpfungseffekt auf den Beitragssatz in der gesetzlichen
Rentenversicherung die Arbeitskosten entlasten sollten.
d) Bei einem Vergleich der Schwere der Beeinträchtigung und der
Bedeutung des verfolgten öffentlichen Belangs ist den Rentnern die ihnen
auferlegte zusätzliche Beitragslast zumutbar. Sie ist nicht derart
gravierend, dass sie von ihnen nicht getragen werden könnte, zumal die
auferlegte zusätzliche Belastung einkommensproportional ausgestaltet
ist. Bezogen auf eine monatliche Standardrente im Juli 2005 in Höhe von
1.176 Euro in den alten Ländern erfolgte eine Minderung des monatlichen
Rentenzahlbetrags um 5,29 Euro.
weitere Pressemitteilungen
|