Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben,
die sich gegen die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einem Bußgeld
von 150 € wegen Verstoßes gegen eine Friedhofssatzung und Belästigung
der Allgemeinheit richtet. Der Beschwerdeführer hatte während einer
Gedenkveranstaltung auf einem Friedhof ein Transparent enthüllt, um
gegen deren Zielrichtung zu protestieren. Die Entscheidung des
Amtsgerichts verkennt den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit;
insbesondere berücksichtigt sie nicht, dass dieser nicht von einer
Anmeldung oder Genehmigung der Versammlung abhängig ist und dass auf dem
Friedhof wegen der Gedenkveranstaltung zu dieser Zeit ein über privates
Gedenken hinausgehender kommunikativer Verkehr eröffnet war. Zudem fehlt
es an der verfassungsrechtlich notwendigen Abwägung, ob eine
Verurteilung des Beschwerdeführers mit Blick auf die
Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Am 13. Februar 2012 veranstaltete die Stadt Dresden eine
Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Heidefriedhofs zur Erinnerung an
die Opfer des Zweiten Weltkrieges sowie die Opfer des
Alliierten Bombenangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945. Die
Beteiligung an dem Gedenkzug stand der gesamten Bevölkerung offen. Der
Beschwerdeführer erhob - mit drei weiteren Personen etwa fünfzig Meter
vor der Gedenkmauer postiert - entlang des Hauptweges des Gedenkzuges
ein Transparent mit dem Schriftzug: „Es gibt nichts zu trauern - nur zu
verhindern. Nie wieder Volksgemeinschaft - destroy the spirit of
Dresden. Den Deutschen Gedenkzirkus beenden. Antifaschistische Aktion“.
Mit dem Transparent wollte der Beschwerdeführer bekunden, dass er mit
der Zielrichtung des Gedenkganges nicht einverstanden sei und gegen
diesen ein Zeichen setzen. Das Transparent war für den vorbeiziehenden
Trauerzug wenige Minuten sichtbar, bevor anwesende Polizeibeamte den
Beschwerdeführer dazu bewegten, das Transparent wieder einzurollen. Die
Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof konnte anschließend wie
geplant durchgeführt werden.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Verurteilung zu einer
Geldbuße von 150 € wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die
Friedhofssatzung und vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit nach §
118 Abs. 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG). Einen
Bußgeldbescheid der Stadt Dresden bestätigte das Amtsgericht mit Urteil
vom 9. November 2012; die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers blieb
vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
1. Die Zusammenkunft auf dem Heidefriedhof und das Entrollen des
Transparents fallen unter den Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8
Abs. 1 GG.
a) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen
zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen
Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und umfasst auch
provokative Äußerungen. Die Versammlungsfreiheit verschafft damit
allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten; sie verbürgt die
Durchführungen von Versammlungen dort, wo ein kommunikativer Verkehr
eröffnet ist. Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine
Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist. Er
endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung.
b) Nach diesen Kriterien hat der Beschwerdeführer an einer Versammlung
im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG teilgenommen. Die Zusammenkunft hatte den
Zweck, gegen das Gedenken Stellung zu nehmen und mit einem Transparent
gemeinsam Position gegen die Gedenkveranstaltung zu beziehen; hierbei
handelte es sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. In
der vorliegenden Situation war auf dem Friedhof ein kommunikativer
Verkehr eröffnet. Der Gedenkzug diente - über ein privates Gedenken
hinaus - auch dazu „ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus
und Gewalt zu setzen“ und nutzte so den Friedhof am 13. Februar 2012 zu
einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlich bedeutsamen Themen. Daher
kann sich der Beschwerdeführer jedenfalls an diesem Tage für seine
Zusammenkunft auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen, zumal
sein Protest konkret auf das Anliegen des Gedenkzuges bezogen ist.
2. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verkennt den
Schutzbereich der Versammlungsfreiheit; weiter fehlt es an einer
verfassungsrechtlich notwendigen Abwägung in der Sache.
a) Das Amtsgericht hat den Versammlungscharakter der Zusammenkunft mit
verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint. Das Amtsgericht
geht davon aus, dass es deswegen an einer Versammlung fehle, weil diese
nicht entsprechend der Friedhofssatzung angemeldet worden war. Eine
Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG hängt jedoch nicht von einer
Genehmigung oder Anmeldung ab. Selbst wenn man in der Aufforderung durch
die Polizisten, das Transparent einzurollen, eine Versammlungsauflösung
sehen möchte, knüpft die Verurteilung des Beschwerdeführers doch an sein
vorheriges Verhalten an. Der Schutz durch die Versammlungsfreiheit
entfällt nur ab dem Zeitpunkt der Auflösung.
b) Es fehlt auch an einer hinreichenden Abwägung, ob die Verurteilung
des Beschwerdeführers mit Blick auf die Versammlungsfreiheit
gerechtfertigt ist. Für den in § 118 Abs. 1 OWiG verwendeten Begriff der
öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene
Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit
dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und
ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten
menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes
angesehen wird. Bei der Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes
hätte das Amtsgericht daher die Versammlungsfreiheit des
Beschwerdeführers in seine Entscheidungsfindung miteinbeziehen müssen.
Es hätte einer Auseinandersetzung damit bedurft, warum die Ausübung des
Versammlungsgrundrechts der öffentlichen Ordnung widerspricht, während
auf dem Heidefriedhof zur gleichen Zeit eine große Gedenkveranstaltung,
zu der öffentlich aufgerufen wurde und die über das Gedenken hinaus ein
„Zeichen“ setzen wollte, stattfindet und sich der Beschwerdeführer
gezielt im Wege stillen Protests gegen diese wendet. Auf die Frage, ob §
118 OWiG von Verfassungs wegen überhaupt ein Verhalten sanktionieren
kann, welches dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfällt oder
ob die Vorschrift sonst verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt,
kommt es damit nicht an.
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