Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben,
die sich gegen die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld
von 250 € wegen Verstoßes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage
richtet. Für einen Aufzug am 1. Mai hatte die Versammlungsbehörde die
Benutzung von Lautsprechern nur für Ansprachen im Zusammenhang mit dem
Versammlungsthema sowie für Ordnungsdurchsagen zugelassen. Die
Beschwerdeführerin benutzte einen Lautsprecher für die Durchsagen
„Bullen raus aus der Versammlung!“ und „Zivile Bullen raus aus der
Versammlung - und zwar sofort!“. Das Urteil des Amtsgerichts, mit dem
ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen die versammlungsrechtliche Auflage
verhängt wurde, verkennt den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit.
Dieser umfasst auch die Äußerung des versammlungsbezogenen Anliegens,
dass nur die Versammlung unterstützende Personen an ihr teilnehmen und
Polizisten sich außerhalb des Aufzugs bewegen sollen.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin nahm am 1. Mai 2008 an einer Versammlung des
Deutschen Gewerkschaftsbundes in München mit dem Thema „01. Mai. Tag der
Arbeit“ teil. Für die Versammlung hatte die zuständige
Versammlungsbehörde unter anderem die Auflage erlassen, dass
Lautsprecher und Megaphone nur für Ansprachen und Darbietungen, die im
Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen, sowie für
Ordnungsdurchsagen verwendet werden dürfen. Während des
Versammlungszuges benutzte die Beschwerdeführerin an zwei Orten einen
Lautsprecher, welcher auf einem Handwagen mitgeführt wurde, für folgende
Durchsagen: „Bullen raus aus der Versammlung!“ und „Zivile Bullen raus
aus der Versammlung - und zwar sofort!“. Das Amtsgericht verurteilte die
Beschwerdeführerin wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz durch
Nichtbeachtung beschränkender Auflagen zu einer Geldbuße von 250 €.
Einen Antrag der Beschwerdeführerin, die Rechtsbeschwerde zuzulassen,
verwarf das Oberlandesgericht als unbegründet.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin
in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
1. Die als bußgeldbewehrt erachteten Lautsprecherdurchsagen sind nicht
wie das Amtsgericht annimmt dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit
entzogen. Sie standen inhaltlich in hinreichendem Zusammenhang mit der
durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Durchführung der Versammlung. Sie
mögen zwar keinen spezifischen Bezug zum Versammlungsthema aufgewiesen
haben und nicht auf die Einhaltung der Ordnung gerichtet gewesen sein.
Sie gaben jedoch das versammlungsbezogene Anliegen kund, dass sich in
dem Aufzug nur an ihm teilnehmende Personen befinden sollen, nicht aber
auch am Meinungsbildungsprozess unbeteiligte Polizisten. In ihrer
idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die körperliche
Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen. Wer an einer solchen
Versammlung teilnimmt, ist grundsätzlich auch dazu berechtigt, während
der Versammlung dafür einzutreten, dass nur die das Anliegen der
Versammlung unterstützenden Personen an ihr teilnehmen und Polizisten
sich außerhalb des Aufzugs bewegen.
2. Durch die Sanktionierung der Lautsprecherdurchsagen mit einem Bußgeld
greift die amtsgerichtliche Entscheidung in diesen Schutzbereich ein.
Dieser Eingriff ist auf der Grundlage der gerichtlichen Feststellungen
nicht gerechtfertigt.
a) Zwar ist die Versammlungsfreiheit nicht unbeschränkt gewährleistet
(vgl. Art. 8 Abs. 2 GG). Bei der angewandten Bußgeldvorschrift des § 29
Versammlungsgesetz handelt es sich um ein solches beschränkendes Gesetz,
dessen Auslegung und Anwendung grundsätzlich Sache der Strafgerichte
ist. Allerdings haben die staatlichen Organe und damit auch die
Strafgerichte die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der
grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei
Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutze gleichwertiger anderer
Rechtsgüter notwendig ist.
b) Diesem Maßstab wird die amtsgerichtliche Verurteilung der
Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld nicht gerecht. Aufgrund des
Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 GG durfte sich das Gericht nicht
uneingeschränkt auf die Auflage der Versammlungsbehörde berufen.
Vielmehr durfte es die Auflage nur dann als verfassungsgemäß ansehen,
wenn es sie einer Auslegung für zugänglich hielt, nach der andere als
strikt themenbezogene Äußerungen mit Versammlungsbezug von ihr nicht
ausgeschlossen sind. An einer solchen Berücksichtigung des
Schutzgehaltes der Versammlungsfreiheit fehlt es indes. Vielmehr belegt
die angegriffene Entscheidung die in Frage stehenden
versammlungsbezogenen Äußerungen unabhängig von jeder Störung mit einer
Geldbuße. Für eine Störung durch den Gebrauch der Lautsprecheranlage im
konkreten Fall ist weder etwas dargetan noch ist sie sonst ersichtlich.
Die Lautsprecherdurchsagen der Beschwerdeführerin waren erkennbar nicht
geeignet, mehr als allenfalls unerhebliche Unruhe innerhalb der
Versammlung zu stiften. Auch eine mögliche Beeinträchtigung der
Gesundheit von Dritten durch übermäßigen Lärm erscheint durch die bloß
kurzzeitige zweimalige Benutzung des Lautsprechers ausgeschlossen.
Insgesamt ist damit nicht erkennbar, dass Gefährdungen vorlagen, die die
Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld rechtfertigten.
3. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei einer erneuten
Befassung unter Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen des Art. 8
Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis kommen wird. Das angegriffene Urteil
ist daher aufzuheben, die Sache ist an das Amtsgericht zur erneuten
Entscheidung zurückzuverweisen.
weitere Pressemitteilungen
|