Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde des
ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy gegen Beschlüsse des
Amtsgerichts und des Landgerichts Hannover nicht zur Entscheidung
angenommen. Die mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen haben
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; sie sind teilweise unzulässig,
im Übrigen unbegründet. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschlüsse betreffen ein
Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts des
Besitzes kinderpornografischer Schriften. Sie haben unter anderem die
Durchsuchung der Wohnungen, des Abgeordnetenbüros und weiterer Büroräume
des Beschwerdeführers sowie die Beschlagnahme seiner
Bundestags-E-Mail-Postfächer, der unter seiner Bundestagskennung
gespeicherten Daten und zweier privater E-Mail-Postfächer zum
Gegenstand.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer
eine Verletzung seiner Immunität als Abgeordneter (Art. 46 Abs. 2 GG)
rügt.
a) Die Gewährleistung der parlamentarischen Immunität dient in erster
Linie der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Jedoch enthält Art. 46 Abs.
2 GG auch ein Verfahrenshindernis, das die öffentliche Gewalt bei allen
Maßnahmen, die sie gegen Abgeordnete des Deutschen Bundestages richtet,
streng zu beachten hat. Hierauf kann sich auch der einzelne Abgeordnete
berufen.
b) Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 10. Februar 2014 und
der diesen bestätigende Beschluss des Landgerichts sind unter Verletzung
des Art. 46 Abs. 2 GG zustande gekommen.
Nach dem Bundeswahlgesetz verliert ein Abgeordneter die Mitgliedschaft
im Deutschen Bundestag unter anderem durch einen wirksamen Verzicht. §
47 Abs. 3 Satz 1 Bundeswahlgesetz bestimmt für diesen Fall, dass der
Abgeordnete „mit der Entscheidung“ des Bundestagspräsidenten aus dem
Deutschen Bundestag ausscheidet. Danach war der Beschwerdeführer
jedenfalls zu dem Zeitpunkt, zu dem das Amtsgericht den Beschluss vom
10. Februar 2014 erlassen hat, noch Mitglied des Deutschen Bundestages.
Seine am 6. Februar 2014 notariell beurkundete Erklärung ist dem
Präsidenten des Deutschen Bundestages am 7. Februar 2014 zugeleitet
worden, der sie am 10. Februar 2014 schriftlich bestätigt hat. Damit ist
der Beschwerdeführer nach dem Wortlaut des Gesetzes erst mit dem
Wirksamwerden der Entscheidung vom 10. Februar 2014 aus dem Deutschen
Bundestag ausgeschieden. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in den
sozialen Medien - ebenso wie sein Verteidiger schriftsätzlich - selbst
ein früheres Datum genannt hat, und der Bundestagspräsident in seiner
Erklärung vom 10. Februar 2014 als Zeitpunkt für die Mandatsbeendigung
den Ablauf des 6. Februar 2014 festgestellt hat, vermag daran nichts zu
ändern. Denn für die parlamentarische Arbeit ist es von
ausschlaggebender Bedeutung, dass Klarheit darüber herrscht, wer dem
Parlament angehört und wer nicht (mehr).
Die Fachgerichte wären verpflichtet gewesen, vor Erlass einer
Durchsuchungsanordnung gegen einen Beschuldigten, der jedenfalls
unmittelbar zuvor noch Abgeordneter des Deutschen Bundestages gewesen
war, das Verfahrenshindernis der Immunität mit besonderer Sorgfalt zu
prüfen.
c) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht jedoch der Grundsatz
der materiellen Subsidiarität entgegen. Ein Beschwerdeführer muss alle
nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreifen, um
die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr
zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu
beseitigen. Dies hat der Beschwerdeführer nicht getan. Er hat sich weder
im fachgerichtlichen Rechtsweg auf das Verfahrenshindernis der Immunität
berufen noch den Fachgerichten die Tatsachen vorgetragen, aus denen sich
die Verletzung von Art. 46 Abs. 2 GG ergibt.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, soweit der
Beschwerdeführer die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des
Amtsgerichts in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts
als Verletzung seines Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13
Abs. 1 GG) rügt. Der Beschwerdeführer legt seiner Begründung nicht die
Feststellungen und Wertungen der Fachgerichte zugrunde; die von ihm als
verfassungsrechtlich grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, ob ein
strafprozessualer Anfangsverdacht auch an ein ausschließlich legales
Verhalten des Beschuldigten ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte
anknüpfen könne, ist daher nicht entscheidungserheblich.
a) Zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der
Wohnung zum Zwecke der Strafverfolgung ist der Verdacht erforderlich,
dass eine Straftat begangen wurde. Dieser Anfangsverdacht muss auf
konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen
reichen nicht aus. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn
sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht
finden lassen. In der Rechtsprechung ist andererseits auch geklärt, dass
ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat durch ein an sich
legales Verhalten begründet werden kann, wenn weitere Anhaltspunkte
hinzutreten.
b) Nach seinen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausführungen
hat das Landgericht den Anfangsverdacht darauf gestützt, dass es das dem
Beschwerdeführer unstreitig zuzuordnende Material entweder bereits für
strafrechtlich relevant gehalten oder es jedenfalls in einen von
tatsächlichen Wertungen abhängigen Grenzbereich zwischen strafrechtlich
relevantem und irrelevantem Material eingeordnet hat. Damit ist es
gerade nicht - wie der Beschwerdeführer meint -, davon ausgegangen, er
habe sich ausschließlich legal verhalten und es lägen aussagekräftige
Gesichtspunkte für einen hinreichenden Anfangsverdacht nicht vor.
Vielmehr hat das Landgericht das dem Beschwerdeführer zugeordnete
Material als Darstellung „vermeintlicher“ - also nicht tatsächlich
vorliegender - Alltagssituationen mit selbstzweckhaften Fokussierungen
auf Geschlechtsteile ohne einen erkennbaren Handlungskontext beschrieben
und den sexualisierten Charakter der Darstellungen betont. Es ist dabei
zu dem Schluss gelangt, dass zu erwarten sei, der Beschwerdeführer werde
sich „auch“ aus anderen Quellen kinderpornografisches Material
verschaffen. Damit hat es die ausgewerteten Darstellungen als
strafrechtlich relevant oder zumindest als Material eingestuft, dessen
strafrechtliche Relevanz allein von schwierigen tatsächlichen Wertungen
- Alter der Kinder, Einschätzung der dargestellten Handlungsabläufe und
Posen als noch natürliche oder als für Kinder schon unnatürliche -
abhängt. Ohne die Reichweite des durch Art. 13 GG gewährleisteten
Schutzes zu verkennen, ist das Gericht zudem von dem kriminalistischen
Erfahrungssatz ausgegangen, dass die Grenze zur strafbaren
Kinderpornografie bei dem Bezug solcher als strafrechtlich relevant
einschätzbarer Medien über das Internet - jedenfalls bei Anbietern, die
auch eindeutig strafbares Material liefern - nicht zielsicher
eingehalten werden kann und regelmäßig auch überschritten wird.
3. Als unbegründet erweist sich auch die Rüge, der Beschwerdeführer
werde durch die Beschlagnahme seiner E-Mails und der Verkehrsdaten
seiner Internetkommunikation in seinem Grundrecht auf Gewährleistung des
Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) verletzt. Die Feststellung des
Landgerichts, dass weniger eingriffsintensive Maßnahmen zur Sicherung
beweiserheblicher E-Mails - etwa eine Beschränkung der Beschlagnahme auf
einen Teil des Datenbestands - nicht in Betracht gekommen seien, da eine
Eingrenzung anhand von Sender- oder Empfängerangaben oder Suchbegriffen
nicht ausreichend geeignet erschien, ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Es ist bereits nicht ersichtlich und auch von dem
Beschwerdeführer nicht vorgetragen, anhand welcher Kriterien eine
Eingrenzung der Sicherstellung hätte erfolgen können.
4. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde kommt auch nicht im Hinblick
auf den geltend gemachten Gehörsverstoß in Betracht. Das Landgericht hat
zwar das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG) verletzt, indem es die Beschwerde zurückwies, ohne dem
Beschwerdeführer zuvor die Möglichkeit einer Stellungnahme zur
Beschwerdeerwiderung der Staatsanwaltschaft einzuräumen. Dieser
Gehörsverstoß ist jedoch durch die Entscheidung über die Anhörungsrüge
geheilt worden. Aus den Gründen dieses Beschlusses ergibt sich, dass das
Gericht den Vortrag des Beschwerdeführers zu den ihm zunächst
vorenthaltenen Ausführungen der Staatsanwaltschaft nachträglich zur
Kenntnis genommen und erwogen hat.
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