Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts zum Rechtsschutz gegen Untersuchungsausschussberichte

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts zum Rechtsschutz gegen Untersuchungsausschussberichte

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 27/2016

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats eine Verfassungsbeschwerde von 26 Abgeordneten der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg gegen ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15. September 2015 nicht zur Entscheidung angenommen. Das Urteil befasste sich mit der Frage des in der Landesverfassung vorgesehenen Rechtswegausschlusses gegen Abschlussberichte von Untersuchungsausschüssen der Hamburgischen Bürgerschaft. Abgeordnete hatten die Durchführung des Verfahrens nach Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss „Elbphilharmonie“ beantragt. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch Unterlassung einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht.

Sachverhalt:

Der in der vergangenen Legislaturperiode von der Hamburgischen Bürgerschaft eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuss „Elbphilharmonie“ beabsichtigte, in seinem Abschlussbericht wertende Äußerungen unter anderem über einen Rechtsanwalt zu veröffentlichen. Dieser nahm hiergegen verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch. Nachdem das Verwaltungsgericht Hamburg den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zunächst abgelehnt hatte, untersagte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht dem Untersuchungsausschuss im Wege einstweiliger Anordnung, in seinem Abschlussbericht eine näher bezeichnete Tatsachenbehauptung über den Rechtsanwalt aufzustellen.

Daraufhin beantragten 55 Abgeordnete der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg im November 2014 beim Hamburgischen Verfassungsgericht die Durchführung eines Norminterpretationsverfahrens (Art. 65 Abs. 3 Nr. 1 der Hamburgischen Verfassung). Ziel dieses Norminterpretationsverfahrens war die verbindliche Klärung der Auslegung von Art. 26 Abs. 5 Satz 1 der Hamburgischen Verfassung, nach dessen Wortlaut die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse der richterlichen Erörterung entzogen sind. Die Hamburgische Verfassung statuiere nach Auffassung der Antragsteller insoweit – ebenso wie Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG – eine Ausnahme von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und eröffne damit einen gerichtsfreien Raum. Mit Urteil vom 15. September 2015 stellte das Hamburgische Verfassungsgericht fest, dass der Rechtsweg nach Art. 26 Abs. 5 Satz 1 der Hamburgischen Verfassung nur insoweit ausgeschlossen sei, als das Recht der Untersuchungsausschüsse auf autonome Abfassung eines Abschlussberichts nicht nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz durch Grundrechte oder andere Verfassungsgüter eingeschränkt werde.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist bereits unzulässig, da sie nicht ausreichend begründet ist. Insbesondere wurde die allein gerügte Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 Abs. 1 GG) nicht substantiiert dargelegt.

  1. Eine Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht liegt bereits deshalb nicht vor – und vermag demzufolge auch nicht verletzt zu sein –, weil der Gewährleistungsgehalt von Art. 19 Abs. 4 GG nicht entscheidungserheblich war. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat Art. 26 Abs. 5 Satz 1 der Hamburgischen Verfassung nicht allein an Art. 19 Abs. 4 GG gemessen, sondern daneben stets auch den im Wesentlichen wortgleichen und offensichtlich auch als inhaltsgleich angesehenen Art. 61 der Hamburgischen Verfassung herangezogen. Eine Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Vorschriften der Landesverfassung fällt jedoch in die Kompetenz des Landesverfassungsgerichts. Selbst wenn eine Einschränkung von Art. 26 Abs. 5 Satz 1 der Hamburgischen Verfassung und das vom Hamburgischen Verfassungsgericht vertretene Auslegungsergebnis nicht auch durch Art. 19 Abs. 4 GG geboten wäre, bliebe es bei der Entscheidung, die dann alleine auf die Parallelvorschrift der Landesverfassung gestützt würde. Sollte Art. 19 Abs. 4 GG einen weitergehenden Rechtsschutz gebieten als die Vorschrift des Art. 61 der Hamburgischen Verfassung, unterlägen Untersuchungsausschussberichte erst recht der (gegebenenfalls intensiveren) gerichtlichen Kontrolle.
  2. Zudem mangelt es der Beschwerdebegründung auch insoweit an hinreichender Substantiierung, als das Hamburgische Verfassungsgericht zur Begründung seiner Auffassung umfangreich die vorhandene Rechtsprechung und Literatur zur Landesverfassung sowie Literatur zum Grundgesetz ausgewertet hat. Hiermit setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend auseinander, wenn sie unter bloßem Verweis auf den Wortlaut und den angeblichen Willen des Landesverfassungsgebers geltend macht, die Auslegung des Hamburgischen Verfassungsgerichts sei unvertretbar und überschreite die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung.
  3. Selbst wenn man davon ausginge, das Hamburgische Verfassungsgericht habe keine praktische Konkordanz hergestellt, sondern eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung vorgenommen, so erscheint eine solche Auslegung vorliegend nicht unvertretbar. Hierfür spricht – neben der vom Hamburgischen Verfassungsgericht angeführten weiten Verbreitung dieser Auffassung –, dass auch das Bundesverfassungsgericht selbst Art. 44 Abs. 4 GG einschränkend ausgelegt hat. Warum die Rechtsprechung des Hamburgischen Verfassungsgerichts vor diesem Hintergrund gänzlich unvertretbar sein soll, hätte ebenfalls näherer Begründung bedurft.
  4. Gegen die Annahme, das Hamburgische Verfassungsgericht sei von der Verfassungswidrigkeit des Art. 26 Abs. 5 Satz 1 der Hamburgischen Verfassung überzeugt und deswegen zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht verpflichtet gewesen, spricht schließlich die Wortlautgleichheit mit Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG. Eine Vorschrift, die sich mit einer Regelung im Grundgesetz deckt, dürfte kaum verfassungswidrig sein.