Berufungsurteil des 2. Zivilsenats zu Staatshaftungsansprüchen wegen objektiv rechtswidriger Beitragsbescheide eines Wasser- und Abwasserzweckverbandes

Berufungsurteil des 2. Zivilsenats zu Staatshaftungsansprüchen wegen objektiv rechtswidriger Beitragsbescheide eines Wasser- und Abwasserzweckverbandes

Im Berufungsverfahren betreffend eine Schadensersatzklage von Grundstückseigentümern wegen objektiv rechtswidriger Anschlussbeitragsbescheide gegen einen Wasser- und Abwasserzweckverband (PM vom 6. Februar 2018) hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgericht in seinem heute verkündeten Berufungsurteil das angefochtene Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Entscheidung erging auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2018.

Zur Begründung führt der Senat in seinem Urteil aus, dass der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes (StHG) nicht eröffnet sei. Nach dem Wortlaut des § 1 StHG bedürfe es für die Entstehung eines Schadensersatzanspruches jedenfalls eines Schadens, den Mitarbeiter staatlicher oder kommunaler Organe in Ausübung staatlicher Tätigkeit einer natürlichen Person rechtswidrig zugefügt haben und damit eines unmittelbaren, rechtswidrigen Verwaltungshandelns. An einem solchen unmittelbaren Eingriff in eine Vermögensposition der Kläger durch einen Hoheitsträger fehle es aber bei einer rechtmäßigen Anwendung einer nur in bestimmten Fallbereichen rechtswidrigen Norm schon grundsätzlich.

Die Wasserzweckverbände hätten sich zur Anwendung des neu gefassten § 8 Abs. 7 Satz 2 des Brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes (KAG Bbg) auch auf die sogenannten Altfälle, in denen die Beitragserhebung nach alter Rechtslage wegen Verjährung ausgeschlossen war, nach dem gesetzgeberischen Willen und nach der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg rechtlich veranlasst gesehen. Der Landesgesetzgeber habe in der Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung von § 8 Abs. 7 Satz 2 des Brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes (KAG Bbg), die mit Wirkung vom 1. Februar 2004 in Kraft getreten ist, ausgeführt, dass die bisherige Regelung in der Vergangenheit zu Beitragsausfällen geführt habe, da Ansprüche nicht mehr innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist haben geltend gemacht werden können. Mit der Gesetzesänderung, so weiter die Begründung des Gesetzesentwurfs, sei die Voraussetzung einer rechtswirksamen Satzung ausdrücklich festgeschrieben worden „um künftige Beitragsausfälle bei den Gemeinden und anderen Aufgabenträgern zu vermeiden.“ Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im November 2015 habe die Beitragserhebung des Beklagten nach § 8 Abs. 7 KAG Bbg neuer Fassung in den sogenannten Altfällen auch der ständigen Rechtsprechung der Instanzgerichte entsprochen. Die Ursache für die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsmaßnahme liege daher in der Sphäre der Legislative, die im Rahmen der Neufassung des § 8 KAG Bbg das Problem einer verfassungsrechtlich bedenklichen Rückwirkung mit Blick auf die vorangegangene obergerichtliche Rechtsprechung offenbar nicht in Betracht gezogen habe. Der Landesgesetzgeber habe aber in § 1 Abs. 1 StHG neben der Haftung für fehlerhafte Rechtsanwendung keine Ansprüche für Kollegialentscheidungen, zu denen auch Parlamentsentscheidungen zu rechnen seien, begründen wollen, wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und dessen Präambel ergebe.

Der geltend gemachte Schaden sei zudem nicht vom Schutzzweck des § 1 Abs. 1 StHG erfasst. Eine Haftung auf Schadensersatz bestehe nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt werde, aus dem Bereich der Gefahren stamme, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden sei. Dass ein Schadensersatzanspruch nach dem Staatshaftungsgesetz in der vorliegenden Konstellation letztlich immer dann ausscheide, wenn sich ein geltend gemachter Schaden als deckungsgleich mit einem bestandskräftigen Verwaltungsakt darstelle, sei auch vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass mit dem Staatshaftungsgesetz letztlich nur Sonderopfer ausgeglichen werden sollen, also Eingriffe, gegen die sich der Betroffene nicht im Wege eines Primärrechtsschutzes zur Wehr setzen kann. Es liege in der Natur der Sache, dass rechtswidrige Behördenentscheidungen Vermögensnachteile bei betroffenen Bürgern auslösen könnten. Beruhe dieser Vermögensnachteil – wie hier – darauf, dass der Bürger das Verwaltungshandeln habe bestandskräftig werden lassen, scheide die Bejahung eines solchen Sonderopfers indes von vornherein aus. Dies gelte unabhängig von der Frage, ob die Wahrnehmung des Primärrechtsschutzes voraussichtlich zum Erfolg geführt hätte oder nicht.

Würde man § 1 Abs. 1 StHG auf solche Fallkonstellationen für anwendbar halten, würde jeder Bürger, ohne zuvor den gegen ihn gerichteten Bescheid – zudem fristgerecht – angefochten zu haben, mit Erlass einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Entscheidung oder gar einer von der bisherigen Rechtslage abweichenden obergerichtlichen Entscheidung bis zur absoluten Verjährung den Bescheid über den Umweg eines Schadensersatzanspruches stets beseitigen können. Dies würde dem Grundsatz der Rechtssicherheit von rechtskräftigen Bescheiden zuwiderlaufen. Zudem hätte dies gegebenenfalls zur Folge, dass ein Geschädigter, der den Bescheid unter Ausschöpfung des Rechtsweges anficht, gemäß § 1 Abs. 4 StHG an der Verfolgung von Ansprüchen nach dem Staatshaftungsgesetz gehindert sei, während derjenige, der in Außerachtlassung des Primärrechtsweges Ansprüche direkt nach dem Staatshaftungsgesetz verfolge, mangels Bindungswirkung der Ausgangsentscheidung für das Gericht des Schadensersatzanspruches besser gestellt wäre.

Schließlich führe auch die – doppelt – entsprechende Anwendung von § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu einem Ausschluss des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs. Danach bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt, sofern es sich nicht um Strafurteile handelt. Die Regelung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend anzuwenden, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht auf Nichtigkeit einer Norm erkannt, sondern sich darauf beschränkt habe, deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz festzustellen. Nichts anderes gelte, wenn das Bundesverfassungsgericht – wie hier – nicht die Norm selbst, sondern deren Auslegung für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt habe. Die entsprechende Anwendung sei schließlich auch dann begründet, wenn nicht ein Senat, sondern eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts entschieden habe.

Die Revision wurde zugelassen.

Az.: 2 U 21/17 Brandenburgisches Oberlandesgericht

       11 O 312/16 Landgericht Frankfurt (Oder)