Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit von Arbeitslosengeld II-Sanktionen

Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit von Arbeitslosengeld II-Sanktionen

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 31/2016

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit einer Richtervorlage des Sozialgerichts Gotha festgestellt. Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle betrifft die Minderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von Pflichtverletzungen der leistungsberechtigten Person. Das Vorlagegericht war der Auffassung, dass die Sanktionsregelung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 12 Abs.1 GG sowie mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar sei. Der Vorlagebeschluss entspricht jedoch nur teilweise den Begründungsanforderungen. Er wirft zwar durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen auf. Doch setzt er sich nicht hinreichend damit auseinander, ob diese auch entscheidungserheblich sind, da unklar ist, ob die Rechtsfolgenbelehrungen zu den Sanktionsbescheiden den gesetzlichen Anforderungen genügen. Wären die angegriffenen Bescheide bereits aufgrund fehlerhafter Rechtsfolgenbelehrungen rechtswidrig, käme es auf die Verfassungsgemäßheit der ihnen zugrunde liegenden Normen nicht mehr an.

Sachverhalt:

Das Jobcenter minderte dem Kläger des Ausgangsverfahrens das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2014 um 30 % des Regelbedarfs und hob die Leistungsbewilligung teilweise auf. Der Kläger habe verhindert, dass ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis als Lager- und Transportarbeiter zustande kam, obwohl er über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung schriftlich belehrt worden sei.

Mit einem weiteren Bescheid minderte das Jobcenter dem Kläger wegen wiederholter Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2014 um monatlich 60 % des Regelbedarfs und hob den Bewilligungsbescheid für diesen Zeitraum teilweise auf. Der Kläger habe bei einem Arbeitgeber einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein einzulösen gehabt. Das habe der Kläger trotz Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung nicht getan.

Die gegen die Sanktionsbescheide eingelegten Widersprüche blieben erfolglos, woraufhin der Kläger Anfechtungsklage zum Sozialgericht Gotha erhob. Mit Beschluss vom 26. Mai 2015 hat dieses das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 31a in Verbindung mit § 31 und 31b SGB II zur Entscheidung vorgelegt.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

  1. Die Vorlage ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt. Das Gericht muss in der Begründung der Vorlage insbesondere hinreichend deutlich machen, dass und aus welchen Gründen es im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Normen zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, die jedoch zumindest nachvollziehbar sein muss. Dazu gehört es, sich eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage anhand der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen und zu unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten Stellung zu nehmen, soweit sie für die Entscheidungserheblichkeit maßgeblich sein können. Desgleichen muss das vorlegende Gericht unter Ausschöpfung der ihm verfügbaren prozessualen Mittel auch alle tatsächlichen Umstände aufklären, die für die Vorlage Bedeutung erlangen können. Die ungeprüfte Übernahme von Parteivorbringen reicht dafür grundsätzlich nicht aus.
  2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nur zum Teil gerecht.

Zwar wirft der Vorlagebeschluss durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen auf. So legt das Sozialgericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ausführlich dar. Es fehlt jedoch an einer hinreichenden Begründung, warum die Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sein soll. Dem Vorlagebeschluss ist nicht hinreichend nachvollziehbar zu entnehmen, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens vom Jobcenter vor Erlass der Sanktionsbescheide nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II den gesetzlichen Anforderungen entsprechend über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung belehrt wurde, obwohl Ausführungen hierzu geboten sind. Fehlte es bereits an dieser Tatbestandsvoraussetzung für eine Sanktion, wären die angegriffenen Bescheide rechtswidrig und es käme auf die Verfassungsgemäßheit der ihnen zugrunde liegenden Normen nicht mehr an.

Hinsichtlich des ersten Sanktionsbescheids trifft das vorlegende Gericht keine eigenen Feststellungen zu einer der sanktionierten Pflichtverletzung vorausgegangenen Rechtsfolgenbelehrung. Weder anhand der Vorlage selbst noch anhand des in Bezug genommenen Widerspruchbescheides lässt sich feststellen, welchen Inhalt die Rechtsfolgenbelehrung hatte und ob sie den fachrechtlich differenzierten und strengen Anforderungen genügt. Auch im Hinblick auf den zweiten Sanktionsbescheid ist nicht erkennbar, ob dem damit sanktionierten Verstoß eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung vorausging. Die Richtigkeit und Verständlichkeit der dem Eingliederungsverwaltungsakt beigefügten Belehrung können jedenfalls in Zweifel gezogen werden, da sie über die Minderung in Höhe von 30 % bei erstmaligem Verstoß nur informiert und auf die Folgen eines wiederholten Verstoßes nur „vorsorglich“ hinweist. Ausführungen zum Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung liegen auch nahe, weil die Fehleranfälligkeit von Rechtsfolgenbelehrungen der Fachöffentlichkeit bekannt ist. Darauf hat der Gesetzgeber im Jahr 2011 mit einer Ergänzung von § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II reagiert; das vorlegende Gericht hat jedoch auch zu dieser Tatbestandsalternative keinerlei Ausführungen gemacht.